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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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schauen sie an, manche offen, andere verstohlen. Männer neigen in ihrer Nähe zu diesem Verhalten. Stephanie ist Anfang dreißig, schlank und blond. Sie hat ein schmales, symmetrisches Gesicht und trägt ein azurblaues Kleid mit einer ungewöhnlichen weißen Kette – kühn und kantig –, die mir vertraut vorkommt: Ich muss mich förmlich davon losreißen. Ihre Haut ist sehr blass, als würde Stephanie nie in die Sonne gehen. Sie scheint zu leuchten.
    Ist sie schön? Die meisten meiner männlichen Kollegen vertreten diese Ansicht mit großer Inbrunst. Außerdem behaupten sie, sie würden sie auch »als Mensch« mögen.
    Die Männer starren mir nach, als ich zu ihr gehe und ihr Hallo mit einem Hallo beantworte. Ich will mich auf die Tatsache konzentrieren, dass wir eine bestimmte Aufgabe zu erledigen haben, setze mich ihr gegenüber auf die lederbezogene Bank und beginne im Kopf mit der Konstruktion der Gottesanbeterin, die ich für Sunny Chen gefaltet habe. Eine knifflige Aufgabe, die mir helfen könnte, die momentane Situation einigermaßen durchzustehen. Zwischen uns befindet sich eine glänzend lackierte Tischplatte, und wir blickenauf das blaue Neon des Hafenviertels siebenunddreißig Stockwerke unter uns. Stephanie gilt als gute und taktvolle Zuhörerin. Menschen, die das Bedürfnis haben, viel über sich selbst zu sprechen, fühlen sich von dieser Eigenschaft angezogen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich habe vor, bei diesem Gespräch die Kontrolle zu behalten.
    »Orientalische Märchen erzählen oft von jungen Männern, die herumsitzen und wenig tun, bis ihnen überraschend ein großes Vermögen in den Schoß fällt«, erkläre ich Stephanie. »Aladin ist ein Beispiel dafür. Das Schicksal verkündet, was geschehen wird. Schicksal gegen freien Willen ist ein häufig wiederkehrendes Motiv. Man kann auch feststellen, dass …«
    Sie unterbricht mich. »Hesketh, bevor wir anfangen, müssen wir über etwas Persönliches sprechen.«
    Wo bleibt ihre professionelle Haltung? »Nein.«
    »Es tut mir leid, Hesketh, ich will keine alten Wunden aufreißen, aber ich muss dir wirklich etwas sagen.« Sie räuspert sich. »Etwas, das du wissen solltest.« Stephanie legt ihre blasse, schmale Hand auf meine, doch ich ziehe sie weg.
    Ich sage: »Was immer es sein mag, dies ist nicht der richtige Zeitpunkt.« Mir ist egal, ob es schroff klingt. Ich gebe dem Kellner ein Zeichen. Das mit der Kontrolle klappt nicht wie geplant. »Wir beide werden zusammenarbeiten müssen. Es geht hier nur darum, ein bestimmtes Muster zu finden und festzustellen, was passiert und wieso. Daher sollten wir uns wie Kollegen verhalten. Belassen wir es dabei, okay?«
    Ich starre auf ihre Kette. Ich fixiere oft die falschen Dinge und merke es erst, wenn es zu spät ist. Der Kellner kommt zu uns herüber. Er stammt von den Philippinen und hat eine Hautfarbe wie Cointreau. Ich beginne, mit dem Oberkörper zu schaukeln. Wir bestellen. Einen doppelten Scotch für mich. Chardonnay für sie. Die klassische geschlechtsspezifischeWahl. Ich gebe die Gottesanbeterin auf und mache mich an einen einfachen Würfel.
    »Wir müssen wirklich reden, Hesketh.« Ich will etwas sagen, doch sie hebt die Hand, um mir zu zeigen, dass sie so oder so weitersprechen wird. »Wenn du zuerst über die Sabotagefälle sprechen willst, auch gut.«
    »Deshalb bist du doch gekommen. Es ist der einzige Grund, warum wir uns im selben Raum befinden.«
    »Aber wir werden auf jeden Fall darauf zurückkommen, weil wir es müssen.« Vielleicht hat sie Mitleid mit mir. Das ist ein häufiger Fehler. Die Leute verstehen nicht, wer ich bin, und nehmen an, dass ich so sein möchte wie sie. Aber das stimmt nicht.
    Unsere Getränke kommen. Der Kellner stellt sie zusammen mit kleinen Schälchen voller Nüsse, Oliven und Chips auf den Tisch. Stephanie bedankt sich, und ich trinke einen großen Schluck Scotch. Zu viel, zu schnell. Er brennt in der Kehle.
    Sie richtet sich auf. »So. Die Sabotagefälle. Ashok war nicht sonderlich angetan von deinen Spekulationen, das kannst du mir glauben. Ist auch kein Wunder. Er nennt es ausufernde Fantasie, aber …« Sie lächelt unerwartet. Ich weiß nicht, ob es aufrichtig gemeint ist oder nicht. Sie hat sehr regelmäßige Zähne. Ihr Lippenstift von Estée Lauder hat die Farbe Rose Dusk.
    »Ashok beschäftigt mich nicht, damit ich ihm sage, was er hören möchte. Er beschäftigt mich, um Verhaltensmuster aufzuspüren.«
    Sie hebt ihr Glas in meine Richtung und trinkt

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