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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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Vries gebeten. Aber ich brauche auch den von Farooq.«
    »Ich sehe zu, was sich machen lässt.«
    »Könntest du mir einen Nierenexperten und einen Augenarzt besorgen?«
    »Holla, immer mit der Ruhe. Entwickelst du jetzt eine medizinische Theorie?«
    »Noch einmal, ich weiß es nicht. Ich brauche mehr Beweise. Schaffst du das?«
    »Hey, mit Freuden. Alles ist besser als kleine Männchen. Wenn du mit der Polizei fertig bist, fährst du ins Hotel und wartest auf unseren Mann. Übrigens, der alte Whybray …«
    »Professor Whybray. So heißt er. Professor Victor Whybray, Mitglied der Royal Society. Was ist mit ihm?«
    »Du errätst nie, was er für das Innenministerium macht.«
    »Und ob. Er erforscht die epidemische Zunahme kindlicher Gewalt.«
    »Dann weißt du also auch, dass er uns ins Boot geholt hat und dich, sobald du wieder in der Stadt bist, sprechen möchte?«
    Bis jetzt war es kein guter Tag. Nun aber hat er sich um mehrere Tausend Prozent verbessert. Ich erinnere mich an einen Studenten, der in einem Pub in Cambridge vor Freude mit der Faust auf den Tisch schlägt. Er hat soeben seinen Doktortitel erhalten. Neben ihm sitzt der weißhaarige Mann, der ihm alle Türen geöffnet hat. Wenig später wurde Helena, die Frau des Professors, sehr krank, und ich saß mit ihm gemeinsam in den Wartezimmern. Er hatte mich darum gebeten. Warum, sagte er nie. Er hatte viele Studenten, die allesamt über bessere verbale und soziale Fähigkeiten verfügten. Aber ich half ihm gern. Im Laufe der Wochen lösten wir gemeinsam zweihunderteinundsiebzig Kreuzworträtsel in der Times .
    Nach dem Telefonat muss ich mich den Fragen von Eastern Horizons stellen. Das Ganze ist eine bürokratische Angelegenheit, und ich muss eine Aussage machen, die eher juristischer Natur ist. Ashok hat einen »Partneranwalt« von Phipps & Wexman angeheuert, der mich bei diesem Prozess unterstützen wird. Rachid Omar ist still und sanft. Er hat undeutliche Gesichtszüge, als wären sie geschmolzen. Das kenne ich von altem Plastik: Plastik ist in Wahrheit eine sehr dichte Flüssigkeit, was sich erst im Laufe der Zeit zeigt. Für die Sammler von Barbie-Puppen ist das ein Problem.
    Ich halte mich an seine Vorgaben und erwähne das kleine Mädchen nicht, das de Vries und ich und alle anderen gesehen haben und dessen Gegenwart den Südafrikaner mit einer so furchtbaren Angst erfüllt hat, einer Angst, die das Gesichteines bedrohten Schimpansen trug. Die Arbeit mit Rachid Omar dauert vier Stunden und acht Minuten. Als eine Frau namens Angela Monroe von der britischen Botschaft vorbeikommt, um mich ins Hotel zurückzubringen, ist es schon spät am Abend.
    »Leider können Sie noch nicht nach London zurückkehren«, erklärt sie. »Frühestens morgen. Es sind noch bürokratische Fragen zu klären. Aber Sie können sich jetzt entspannen, Mr Lock.«
    Natürlich kann ich mich nicht entspannen. Das sage ich ihr auch. Entspannung ist unter diesen Umständen undenkbar. Zum einen sorge ich mich wegen des Einsiedlerkrebses. Ich habe das Modell zu lange unberührt im Cottage gelassen.
    »Origami-Papier ist sehr empfindlich gegenüber Feuchtigkeit. Es kann darunter leiden.«
    Sie tätschelt meinen Arm. »Die gute Neuigkeit ist, dass Ihre Kollegin von Phipps & Wexman den Mittagsflug von London nehmen konnte. Sie dürfte bald hier sein.«
    »Sagten Sie Kollegin?«
    »Ja«, erwidert sie mit einem Blick auf ihr iPhone. »Hier steht Stephanie Mulligan.«
    Du wartest auf unseren Mann , hatte Ashok gesagt. Wusste er etwa nicht, wen er schicken würde?
    In mir zerknüllt sich ein Stück Papier.

6
    Es gibt für alles eine Erklärung. Aber sie ist nicht immer offensichtlich.
    In Menons Paradox fragt Platon: Und auf welche Weise willst du denn dasjenige suchen, Sokrates, wovon du überhaupt gar nicht weißt, was es ist? Oder wenn du es auch noch so gut träfest, wie willst du denn erkennen, daß es dieses ist, was du nicht wußtest?
    1783 glaubten die Menschen, die Welt ginge unter, weil Europa unter einer drückenden und scheinbar unveränderlichen schwarzen Wolkendecke lag. Die daraus folgenden sozialen Unruhen dauerten fast ein Jahr, vom Spätwinter bis in den folgenden Herbst. Die Ernte verdarb, viele endeten in Wahnsinn und Selbstverletzung. Der religiöse Wahn explodierte. Allmählich normalisierte sich das Klima, und der Sonnenschein kehrte zurück. Doch es dauerte fast hundert Jahre, bis dieses Phänomen vollständig erklärt wurde. Meteorologen bestätigten, dass das

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