Die da kommen
dieser kollektive Wille versucht, einen monumentalen Paradigmenwechsel im Verhältnis der Menschheit zu sich selbst zu erzwingen. Als Spezies?«
Die Atmosphäre zwischen uns verändert sich. Verdichtet sich. Ein Wiedererkennen.
Auf dem Weg nach draußen legt Professor Whybray mir die Hand auf die Schulter. »Gute Arbeit, mein Junge.«
Ich lächle. »Ich bin sechsunddreißig.«
»Und? Hat der sechsunddreißigjährige Junge seine Autoschlüssel dabei?«
»Ist es nicht zu früh für Ihr Meeting?« Es findet um zwei statt. Danach wird er zu Phipps & Wexman kommen, um mit mir und Ashok zu sprechen.
»Richtig, aber ich möchte Ihnen etwas zeigen. Nennen wir es Feldforschung.«
Zehn Minuten später sitze ich am Steuer, und er schnallt sich an.
»Genau wie früher, was?«
Ich antworte nicht. Es ist überhaupt nicht wie früher. Wir haben nie zusammen Feldforschung betrieben. Sollte er sich hingegen auf die Krankenhausbesuche seinerzeit beziehen wollen, so liegt er auch mit dieser Analogie daneben. Helena ist tot, und der Professor führt ein neues Leben in Toronto, und die Welt, wie wir sie bislang kannten, hat sich bis zur Unkenntlichkeit verändert.
Ich starte den Motor. Wir fahren los. Nach zwei Kilometern breche ich das Schweigen, indem ich Professor Whybray frage, ob Toronto immer noch eine Stadt nach seinem Herzen sei.
Er schlägt sich auf die Knie. »Hervorragend, eine persönliche Frage. Ganz spontan. Ja, mein Sohn. Ich genieße Toronto mehr denn je.« Er gerät ins Schwärmen und berichtet vom Metrosystem, von den Parks, dem reichen kulturellen Leben. Der bunten ethnischen Mischung. Und einer »charmanten, eleganten und äußerst belesenen« Dame aus einem Auktionshaus, mit der er sich regelmäßig zum Mittagessen in der Art Gallery of Ontario trifft. »Ich weiß, was ich gesagt habe, als Helena starb. Und es ist wahr. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass neue Dinge geschehen würden. Es ist anders, aber auf seine Weise ebenso bereichernd.« Er lächelt. »So ist das Leben, nicht wahr, Hesketh? Man muss mit dem Unerwarteten rechnen. Und sich dann anpassen. Das scheint unter den herrschenden Umständen am klügsten zu sein. Übrigens fällt mir inmitten von alldem hier auf, dass Sie immer noch derselbe sind.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie halten sich ans Tempolimit.«
»Das ist Gesetz.« Doch er hat irgendwie recht. Von Armeelastern,Polizeiautos, Radfahrern und dem einen oder anderen Taxi abgesehen, sind die Straßen völlig verlassen. Die Polizei wird sich kaum um Temposünder kümmern. »Die Macht der Gewohnheit.«
»Aber sind Sie wirklich immer noch derselbe Hesketh? Ich meine, wie ist das Leben an der persönlichen Front mit Ihnen umgegangen?«
»Ich dachte, Ashok hätte Sie darüber informiert.«
»Sie wissen ja, was ich von Berichten aus zweiter Hand halte.«
Es beginnt wieder zu regnen, und ich schalte die Scheibenwischer ein. Ihr Rhythmus und die Tatsache, dass wir einander nicht gegenübersitzen, helfen mir, ihm die Geschichte der letzten drei Jahre zu erzählen. Wie ich Kaitlin kennengelernt habe und von unserem gemeinsamen Leben und wie es zu Ende ging. Dass ich nie geplant hatte, Vater zu werden. Oder, technisch betrachtet, ein Stiefvater nach Gewohnheitsrecht. Oder noch präziser, ein Exstiefvater nach Gewohnheitsrecht. Falls es so etwas gibt. Wenn ihr juristisch geschultes Gehirn noch funktionieren würde, könnte Kaitlin das sicher näher erläutern.
Ich erzähle, wie Freddy mein Leben verändert hat und wie sehr ich mich davor fürchte, ihn zu verlieren.
»Diese Zeiten sind eine echte Feuerprobe für Eltern«, sagt er, als ich fertig bin. »Und auch für all die anderen Verbindungen zwischen den Generationen. Nicht viele sind dem gewachsen. Sie dürften einer der wenigen sein, Hesketh. Halten Sie daran fest.«
Wir haben jetzt die Stadtmitte erreicht. Sie ist ebenso verlassen wie das übrige London. Der Regen hat nachgelassen, und der Himmel ist hell und dunkel zugleich. Vor uns sehen wir einen doppelten Regenbogen, der mit einem Fuß in Covent Garden und mit dem anderen weiter westlich steht.Die Farben pulsieren, als würden sie atmen. In der Nähe der Waterloo Bridge berührt Professor Whybray mich am Arm und deutet mit dem Finger. »Da drüben.«
Am anderen Flussufer befindet sich eine schlammige Sandbank, auf der sich kleine Gestalten bewegen. Ich zähle fünfzehn, aber im Schatten der Brücke könnten sich noch mehr verbergen. Manche stehen bis zu den Oberschenkeln im
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