Die da kommen
und fragt: »Was gibt es Neues im Innenministerium?«
Als er sich hinsetzt, werden die Falten auf seiner Stirn tiefer. »Wir haben einen Bericht von der Armee erhalten. Die wilden Streuner ziehen sich aus den städtischen Gebieten aufs Land zurück. Sie begeben sich in Wälder, wo sie sich verstecken können. In den Küstengebieten suchen sie sich Höhlen. Viele leben unmittelbar am Strand. Es ist bis jetzt noch nicht offiziell, aber die Strategie besteht darin, so viele Kinder wie möglich am selben Ort unterzubringen. Andere Städte gehen ähnlich vor. Sie wandeln die O2-Arena um.«
»Die Glaskuppel?«, fragt Ashok und grinst. »Da habe ich Leonard Cohen gesehen. Die Kapazität dürfte reichen. Ha. Großbritanniens größter Laufstall.«
»Ich habe davon abgeraten. Es gefällt mir nicht, wie hier vorgegangen wird. Aber es hat gewisse Entwicklungen gegeben. Im Hinblick darauf halten sie es für gerechtfertigt, sie zusammenzutreiben und einzusperren.«
»Welche Entwicklungen?«
Er schwenkt einige Unterlagen. »Erstens, es gab mehrere Autopsien. Bis jetzt sind drei Kinder in britischen Einrichtungen gestorben, und zwar an verschiedenen natürlichen Ursachen. Nichts Ungewöhnliches für eine Gruppe dieser Größe. Zwei haben epileptische Anfälle erlitten, ein weiteres Kind hatte eine nicht diagnostizierte Herzschwäche. Und wir haben die Leichen von sieben Kindern gefunden, die vermutlich von der Bürgerwehr ermordet wurden. Ich sage es ungern, aber sie wurden verstümmelt. Alle Autopsien – und im Ausland gibt es ähnliche nachgewiesene Fälle – haben gezeigt, dass dieToten eine Nierenanomalie hatten.« Ich schaue ihn an. »Ja. Ähnlich wie bei Svensson. In vielen Fällen sind die Nieren einfach nur größer. Bei einer überraschend hohen Zahl gibt es jedoch überzählige Organe. Das Phänomen ist zu selten, um purer Zufall zu sein. Daneben …« Er hält inne und runzelt die Stirn. »Ich zeige es Ihnen.« Er schlägt eine Mappe auf. »Das ist absolut verblüffend. Mir fällt keine Erklärung dafür ein.« Es sind medizinische Unterlagen. Namen von Kindern. Geburtsdaten. Größe und Gewicht. Und in jedem Fall eine Kurve, die der Logik widerspricht. »Wir haben sie nachverfolgt.«
Ich überfliege erneut die Diagramme und reiche sie Stephanie. Sie betrachtet sie einen Moment und fragt dann: »Und die Kinder sind ansonsten gesund?« Er nickt. »Könnte es sich um einen Fehler handeln?«
»Nein. Das Personal in sechzehn weiteren britischen Einrichtungen hat es bestätigt. Es gibt weltweit weitere solche Fälle. Es wurde noch nicht öffentlich bekannt gemacht, aber das wird nicht mehr lange dauern.« Er stützt den Kopf in die Hände.
»Warum wachsen sie nicht?«, frage ich.
»Nicht wachsen?«, erkundigt sich Ashok. »Keiner von ihnen?«
»Genau das zeigen diese Diagramme. Sie sind alle exakt so groß und schwer wie vor einem Monat. In vielen Fällen gibt es schon deutlich länger kein Wachstum mehr.«
»Aber wenn das der Fall ist – was dann?«, frage ich.
»Verzögerte Entwicklung?«, schlägt Stephanie vor.
»Es ist verrückt!«, meint Ashok. »Das heißt, sie bleiben … einfach so, wie sie jetzt sind? Sie bleiben für immer Kinder, so wie dieser verdammte Peter Pan?«
Der Professor schüttelt den Kopf. »Sie könnten jederzeit weiterwachsen. Einen plötzlichen Schub machen. Ich werde Ernährungswissenschaftler ins Team in Battersea holen. Malsehen, was sich machen lässt. Aber bis dahin haben wir ein Problem, das über die Gesundheit hinausgeht. Ein ethisches, politisches, moralisches Problem.«
»Ich begreife nicht, wie eine medizinische Besonderheit die Politik beeinflussen kann«, sagt Stephanie.
»Ich auch nicht«, fügt Ashok hinzu.
Professor Whybray seufzt tief und schaut mich an. »Das sollten Sie besser erklären.«
»Es ist kulturell bedingt. Anthropologisch gesehen, gehören die Kinder schon jetzt in die Kategorie der Barbaren. Die unbekannten, gefürchteten Außenseiter. Die Gesellschaft hält sie für schmutzig, krank und zurückgeblieben. Die medizinischen Beweise – die Nierenanomalien und die Tatsache, dass sie sich nicht normal entwickeln – deuten darauf hin, dass sie tatsächlich biologisch anders sein könnten. Von dort ist es kein großer Schritt zum Argument, dass sie streng gesehen keine Menschen sind.« Ich wende mich an Stephanie. »Intelligente Menschen bezeichnen sie schon als Mutanten.« Ich halte inne. »Oder als Kreaturen. « Sie errötet. »Wenn sie einer anderen
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