Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen
Mehdorn ist hier das Synonym für die Bahn. Da braucht nur einer zu sagen: Mehdorn hat schon wieder nicht …! Und dann ist die ganze Presse voll. Das ist die Mechanik.
Am Ende schien Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee Ihr Lieblingsgegner zu sein. Wie kam es zu dem Bruch?
Es gab nie einen Bruch.
Das glauben wir Ihnen nicht.
Ich habe zu allen Ministern im Kabinett Merkel einen guten Kontakt. Aber mit Herrn Tiefensee ist es doch so: Wenn es kein Verhältnis gibt, kann es auch nicht gestört sein.
War Ihnen vorher bewusst, dass der Posten des Bahnchefs ein semipolitischer Posten ist, dass die Politik die Bahn als verlängerten Arm des Staates begreift?
Semipolitisch, das schon. Doch es war ausdrücklich meine Aufgabe, die Bahn von der Politik abzunabeln und in ein privatwirtschaftliches Unternehmen zu verwandeln. Dazu mussten wir die Kultur innerhalb der Bahn verändern. Weg von der Staatsbahn. Als ich anfing, haben wir gesagt: »Der Kunde steht im Mittelpunkt.« Wir sind zu den Kunden gegangen und haben gefragt: »Was wollt ihr? Was braucht ihr? Was erwartet ihr?« Daraus haben wir dann unsere Strategie für den Änderungsprozess entwickelt.
Trotzdem haben Sie persönlich jedes Jahr 15000 Beschwerdebriefe von Kunden bekommen. Hat das Ihre Sichtweise auf Deutschland verändert?
So viele waren es nicht. Ich hatte pro Jahr ingesamt ungefähr 15 000 Posteingänge und davon rund 1000 Beschwerdebriefe. Die Lobbriefe haben wir nicht gezählt. Was Deutschland angeht, glaube ich schon, dass wir in einer Wohlstandsgesellschaft leben, die zu Nörgeleien neigt. Weil meine Frau Französin ist, bin ich oft in Frankreich. Letztens sah ich dort im Fernsehen, dass ein Zug entgleist war. So was passiert. Die Feuerwehr kam mit ihrem neuen Kran, hob den Zug ins Gleis zurück. Das war ein ganz sachlicher Bericht. In Deutschland wäre das gleich ein Skandal gewesen.
In Deutschland dürfen keine Fehler passieren.
Ja, alles wird hochstilisiert und mit Vorliebe personalisiert. Der Bahnchef ist nur eines der Opfer.
Woran, glauben Sie, liegt das?
Weil es populär und wahnsinnig einfach ist, an der Bahn herumzukritisieren, ohne Verantwortung zu tragen oder sich selbst für Verbesserungen einzusetzen. Ein Teil des Problems sind die Mechanismen der Politik. Da wird ein Abgeordneter neu in den Bundestag gewählt. Seine Partei schickt ihn, warum auch immer, in den Verkehrsausschuss. In zwei Wochen mutiert er zum Verkehrsexperten. Der sitzt plötzlich in Berlin, weit weg von seinem Wahlkreis. Und wie kann er sich so profilieren, dass die Menschen in seinem Wahlkreis merken, wie toll er ist? Er kritisiert dauernd die Bahn: Die Bahnhöfe seien verkommen, die Züge verspätet …
Viele kleine Bahnhöfe sind tatsächlich verkommen.
Ja. Zugegeben, aber woran liegt das denn? Das lag nicht an mir und nicht an den Mitarbeitern der Bahn, sondern daran, dass nie genug Geld für die Bahnhofsanierung da war. Dafür wollten wir ja frisches Kapital aus dem Teilbörsengang gewinnen. In den 1950 er und 1960 er Jahren hat man nichts für die Bahn getan. Deutschland wurde zum Autoland, und das hat die Bahn in einen Rückstand gebracht, der nur langsam aufgeholt werden kann. Bund und Bahn haben in den letzten Jahren ungefähr 90 Milliarden Euro investiert, aber das reicht noch nicht. Die Bahn muß weiter um ihre Position in Deutschland kämpfen.
Hatten Sie den Eindruck, dass Sie dabei vielleicht auch übers Ziel hinausgeschossen sind?
Ja, mag sein.
Das tangiert Sie nicht?
Nein. Man muss seinen Standpunkt deutlich machen, wenn man in der Verkehrspolitik gehört werden will. Über Jahre ist es versäumt worden, die einzelnen Verkehrsmittel miteinander zu verzahnen. Wir müssen Luftfahrt, Bahn, Straße, Häfen und Kanäle besser miteinander verbinden. Wir brauchen im Transitland Deutschland ein funktionierendes Verkehrssystem. Dafür habe ich gerungen.
Sie sagen »gerungen«. Vielleicht hätten Sie mehr Gehör gefunden, wenn Sie nicht gerungen hätten, sondern charmiert.
Ich habe nicht jedem nach dem Mund geredet, ja, das ist richtig.
Welche Rolle spielt denn das Prinzip Charme in Ihrem Leben?
In meinem Alter hat man keinen Charme mehr. Charme haben junge Frauen oder junge Männer.
Es geht um eine gewisse Konzilianz. Haben Sie sich darüber mal Gedanken gemacht?
Nein. Warum? Wir sind im Geschäftsleben.
Damit es weniger Konflikte gibt. Damit Sie weniger Angriffsflächen bieten.
Konflikte sind ja nichts Verkehrtes. Sagte ich ja schon. Und zu
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