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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Flüstern. »Ich muss ...«
    Das hatte Chert schon erlebt, wenn auch nur kurz: Die Spiegelbesessenheit hatte Chaven wieder gepackt. Er wusste es so genau, als hätten sie es vereinbart: Gleich würde der Arzt dem alten Mann den Kristall entreißen, und es würde ein Chaos geben. Am Ende würden sie wahrscheinlich des Tempels verwiesen werden, ihres letzten und besten Verstecks.
    Chert trat Chaven vors Schienbein, genau auf die Stelle, die sich der Arzt vorhin so schmerzhaft an einem der Steintische gestoßen hatte. Der Arzt stieß einen Schrei aus, hüpfte auf einem Bein und versuchte, sich ans Schienbein zu fassen. Er fiel hin und stieß einen Stapel Gartengeräte um. Erschrocken und misstrauisch steckte der alte Mönch seine Kristalllupe wieder unter das schimmlige Gewand.
    »Was soll das?«, rief Nickel. »Seid ihr alle verrückt geworden?«
    »Chaven hat sich wieder das Bein angeschlagen«, sagte Chert. »Weiter nichts. Helft mir, ihn in den Tempel zurückzubringen — der arme Kerl blutet am Schienbein. Flint, du wirst auch gebraucht. Bedank dich bei Großvater Sulphur für seine Hilfe und komm mit.«
    Der Junge sah den alten Mann an, dessen Gesicht jetzt wieder steinern und verschlossen war. Er bedankte sich nicht, drehte sich aber um, ging aus dem Pilzgarten und überließ es Chert und Nickel, den auf einem Bein hopsenden, wimmernden Arzt zu stützen.

    Das erste, was Ferras Vansen sah, war ein blasser, grünlichgelber Stern, der über ihm im Dunkel schwebte. Das Seltsame war, dass der Stern sich so lebhaft bewegte. Er tanzte nicht nur in immer neuen Schleifen herum wie eine Hummel auf Nahrungssuche, er schien auch noch mit ihm zu
sprechen.
    Sterne sprechen nicht.
Da war sich Ferras Vansen ziemlich sicher.
Und Sterne ... schwirren auch nicht so geschäftig herum.
    »Seid Ihr ...?«, fragte der Stern. »Könnt ... hören?«
    Er war ein bisschen enttäuscht. Er hätte doch gedacht, wenn je ein Stern mit ihm redete, würde er Wichtigeres zu sagen haben. Waren Sterne nicht angeblich die Seelen gefallener Helden? Hingen sie alle schon so lange am Himmel, dass sie schwachsinnig geworden waren, so wie Vansens Vater in jenem schrecklichen letzten Jahr seines Lebens?
    Kurz fragte er sich, ob er selbst tot und irgendwie in den Himmel gelangt war — obwohl er doch nichts vollbracht hatte, womit er sich den Platz eines Helden verdient hätte —, aber jetzt, da er an seinen Vater dachte, war er sich nicht sicher, ob der Tod so ... nebulös sein konnte, so wirr. Doch wohl eher nicht.
    »Er ... mehr Wasser ...«, sagte der Stern.
    Vansen versuchte, seine Augen auf das tanzende Licht zu fokussieren. Und bemerkte schon bald etwas Seltsames: Er sah noch etwas dahinter — hinter dem Stern Und zwar nicht den schwarzen Vorhang der Nacht, den er erwartet hätte, sondern etwas, das aussah wie ein Gesicht. Konnte das der große Perin Himmelsherr selbst sein, der Vansens entleibte Seele inspizierte? Oder war es Kernios, der Hüter der Toten? Zittrige Kälte überkam ihn beim Gedanken an diesen finsteren Gott. Doch wenn es Kernios war, kam der ihm irgendwie bekannt vor. Tatsächlich sah der Herr der Unterwelt aus wie ... Bruder Antimon ...
    Endlich erkannte Vansen, dass das grünlichgelbe Licht, auf das er so verwirrt starrte, seit seine Sinne zurückkehrten, nur die Korallenlampe auf Antimons Stirn war.
    »Ich ... bin nicht ... tot?« Sein Mund war trocken und rauh wie Sand. Es war schwer, Worte hervorzubringen.
    »Er ist wieder bei sich«, sagte Antimon hörbar erleichtert. »Nein, Hauptmann Vansen, Ihr seid nicht tot.«
    »Was ist passiert?« Eine Erinnerung stieg in ihm auf wie eine dunkle Wolke. »Wir haben sie entdeckt. Diese Wesen ...«
    »Sie haben eine Art Gift benutzt«, sagte Antimon. »Ein Pulver, das sie durch ein Rohr bliesen, wie es unsere Vorfahren taten. Ein Glück, dass es Euch nicht getötet hat. Und Ihr habt den Gang versperrt, sodass wir übrigen nichts abgekriegt haben.« Er half Vansen, sich aufzusetzen, und gab ihm dann etwas Wasser. Die anderen Funderlinge hockten in der Nähe, Schlegel Jaspis und seine Zunftwächter. Vansens noch immer etwas verschwommenem Blick schienen sie vollzählig. »Sind alle am Leben?«
    »Alle von uns, den Alten der Erde sei Dank«, sagte Antimon. »Und seht da?« Er zeigte auf einen riesigen, dunklen Klumpen, der an der Stollenwand lag, etwa von der Größe eines Pferdes. »Einer der Tiefenettins — wir haben ihn getötet?«
    »Ich vor allem habe ihn getötet«, sagte Jaspis

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