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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Tierchen krabbelte aus der Kapuze und seinen Arm hinunter. Es ließ sich im Schoß des Mönchs nieder und beobachtete sie alle mit glänzenden Augen. Es war ein Iltis, das, was manche Oberirdler eine »Räuberkatze« nannten. Reichere Funderlinge hielten diese Tiere manchmal im Haus, damit sie Mäuse und Wühlmäuse fingen, doch als Schoßtier hatte Chert einen Iltis noch nie gesehen. »Also, was will dieses Kind von mir?«, fragte Sulphur.
    Flint zögerte keinen Augenblick. »Ihr habt Träume«, sagte der Junge. »Furchterregende Träume von den Göttern. Erzählt mir davon.«
    Der alte Mönch setzte sich gerader auf. Der Iltis keckerte entrüstet und krallte sich an der Kutte fest, wie sich ein Mann bei Sturm an ein wellengebeuteltes Floß klammern mag. »Was könntest du von meinen Visionen wissen, Gha' jaz?« Großvater Sulphurs Stimme war ein heiseres Knurren — es klang ärgerlich, aber auch ängstlich. »Wer bist du, Oberirdlerkind, dass du von mir die Worte der Götter hören willst?«
    Nickel und Chert setzten gleichzeitig an, etwas zu sagen, doch Flint ignorierte sie beide. »Ich bin ein Freund. Erzählt es mir. Es ist wichtig für Eure Leute, dass Ihr es mir erzählt.«
    »Jetzt hör mal her, Kind«, begann Nickel wieder, aber Sulphur ignorierte ihn ebenfalls. Kurz schien es Chert, als ob für den Greis und den hellhaarigen Jungen alle übrigen in dem großen, modrigen Höhlenraum gar nicht mehr da wären. Etwas ging zwischen ihnen hin und her — eine Sprache ohne Worte, wie die winzigen, fast unsichtbaren Sporen der Pilze, die durch die Luft schwebten, einer Wolke von Geistern ähnlich.
    »Die Schildkröte«, sagte Großvater Sulphur unvermittelt. »Mit der Schildkröte fing es an.«
    »Was?« Nickel fasste Flints Schulter, als wollte er den Jungen wegziehen. »Großvater, Ihr seid müde ...«
    »Die Schildkröte erschien mir im Traum. Sie sprach zu mir von den Zeiten, die da kommen — Zeiten, da böse Männer versuchen werden, die Götter zu vernichten. Von der Katastrophe, die das über die Funderlinge bringen wird. Es war die
Wahrheit,
dieser Traum — ich weiß es. Es war der Herr des Heißen Nassen Steins selbst.«
    »Die Schildkröte ...«, sagte Chaven langsam und abwesend, als spräche er mit sich selbst. Etwas in der Stimme des Arztes bewirkte, dass sich Chert die Nackenhaare aufstellten. »Die Schildkröte ... die Seeschnecke ... die Tanne ... die Eule ...«
    Flint ließ sich nicht ablenken. »Erzählt mir, Großvater, was solltet Ihr tun? Was wollte der Herr des Heißen Nassen Steins von Euch?«
    »Das ist Blasphemie«, geiferte Nickel. »Dieser ... Oberirdler, dieser
Gha' jaz,
hat nicht nach solch heiligen Dingen zu fragen!«
    Doch Großvater Sulphur schien es nicht zu stören — ja, Chert hatte sogar das Gefühl, dass der alte Mann sich langsam für das Thema erwärmte. »Er sagte, ich müsse meinen Leuten sagen, dass die Alte Nacht kommt und das Ende dieser sündigen Welt nah ist. Er ist mir in vielen Träumen erschienen. Er trug mir auf, den Leuten zu sagen, dass es aussichtslos ist, sich Seinem Willen zu widersetzen.«
    »Er befahl Euch, nicht gegen den Willen der Götter anzukämpfen?«, fragte Flint. »Aber warum sollte Euer Gott so etwas sagen?«
    »Blasphemie!«, sagte Nickel. »Wie kann er Sulphur solche Fragen stellen, dem Erwählten des Steinherrn selbst?«
    Chert berührte den Mönch am Arm. »Bruder Sulphur hat keine Scheu, mit dem Jungen zu sprechen, also lasst sie reden. Nickel, diese Dinge sind uns beiden zu hoch — aber Ihr müsst doch sehen, dass wir außergewöhnliche Zeiten haben.«
    Nickel konnte kaum stillstehen. »Das heißt nicht, dass ich einem ... einem bloßen
Kind
erlauben muss, in unserem heiligen Tempel zu tun, was ihm beliebt!«
    Chert seufzte. »Was auch immer mein Flint sein mag, dass er kein ›bloßes Kind‹ ist, weiß ich schon lange. Stimmt's nicht, Chaven?«
    Doch der Arzt antwortete nicht: Er hörte dem Alten und dem Jungen gebannt zu.
    »Ihr habt immer schon von den Göttern geträumt«, konstatierte Flint mehr, als dass er fragte.
    »Natürlich. Seit ich jünger war als du, Kind«, sagte der alte Mann nicht ohne eine gewisse Genugtuung. Er hob eine klauenartige, altersfleckige Hand. »Schon mit zwei Jahren erklärte ich meinen Eltern, ich würde zu den Metamorphose-Brüdern gehen.«
    »Aber diese Träume sind anders«, sagte Flint. »Stimmt's?«
    Der Alte lehnte sich jäh zurück, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. Seine milchigen

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