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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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jetzt wieder ruhig und gelassen wie immer. Er blickte stur geradeaus wie ein Soldat, der in eine Schlacht auf Leben und Tod marschiert.
    Wer bist du wirklich, Junge?
Chert war sich nicht mehr sicher, dass er es verstünde, selbst wenn es ihm jemand erklären würde.
Was bist du?
Doch die Antwort war letztlich sowieso nicht von Belang. Von Belang war nur, dass seine Frau den Jungen liebte und er seine Frau liebte. Was er selbst für Flint empfand, war schwerer auszudrücken, doch als er jetzt das ernste Kind mit dem fast weißen Haarschopf betrachtete, wurde ihm klar, dass er alles tun würde, um es zu beschützen.
    »Da entlang.« Nickel zeigte auf einen Seitengang.
    Chert roch die feuchte, modrige, vom Geruch nach tierischem Dung erfüllte Luft des Pilzgartens, schon lange bevor sie am anderen Ende aus dem Gang hinaustraten. Die Kaverne war nur mit wenigen Fackeln beleuchtet und kaum heller als der Gang. Chaven, der sich immer noch nicht ganz an das Schummerlicht gewöhnt hatte, in dem die Funderlinge lebten, blieb stehen und streckte die Hände vor sich wie ein Blinder. Chert fasste ihn am Ellbogen.
    Der Pilzgarten war erstaunlich groß, eine hohe natürliche Höhle, von den Hämmern und Meißeln der Funderlinge noch weiter ausgestaltet. Die meiste Mühe hatte man darauf verwandt, das Zentrum des Bodens zu glätten, wo sich jetzt niedrige Steintische drängten, doch auch die Wände waren gründlich bearbeitet worden: tiefe Auskehlungen bildeten Reihe um Reihe von steinernen Wandnischen.
    Alle Tische auf der großen Bodenfläche trugen flache Schalen voll schwarzer Erde, die mit hellen Pünktchen übersät war. Auch die Wandnischen waren mit Erde und Dung gefüllt: Tausende zarter, fächerförmiger Pilze gediehen dort, die obersten in einer Höhe von fünf, sechs Funderlingslängen, gehegt und gepflegt von Mönchen auf Leitern. Als Chert sich gerade fragte, welche der kuttenverhüllten Gestalten wohl Großvater Sulphur war, bemerkte er einen gebeugten, hageren alten Mann, der auf einem Schemel in der Mitte des Raums saß und eine der flachen Pflanzschalen durch eine Lupe aus Bergkristall inspizierte. Flint war bereits auf dem Weg zu ihm — sehr zu Bruder Nickels Verdruss.
    »He, hiergeblieben! Wirst du mich wohl zuerst mit ihm reden lassen!« Nickel rannte hinter dem Jungen her, und Chert folgte beiden, weil er befürchtete, das Ganze könnte in einen Ringkampf ausarten. Flint war jetzt einen halben Kopf größer als alle Funderlinge mit Ausnahme von Bruder Antimon, daher hatte Chert keine Angst, dass dem Jungen etwas geschehen könnte, aber sie waren schließlich alle Gäste der Metamorphose-Brüder: Eine Schlägerei anzufangen wäre nicht recht.
    »Chert?«, rief Chaven hinter ihm. »Wo seid Ihr?« Der Arzt stöhnte auf, als er sich das Scheinbein an einem der Steintische stieß.
    Chert drehte sich widerstrebend um und eilte dann Chaven zu Hilfe.
    Um Nickel und Flint noch einzuholen, war es sowieso schon zu spät. »Ah, da seid Ihr.« Chaven klammerte sich an seinen Arm. »Es wird gleich besser — meine Augen stellen sich nicht mehr so schnell auf die Dunkelheit ein wie früher ...«
    Als sie es schließlich bis in die Mitte der düsteren Höhle geschafft hatten, stand Flint dort wartend neben dem Schemel des Alten; sein Gesicht war wieder so ausdruckslos, als wäre er innerlich ganz woanders. Bruder Nickel sprach gerade mit Sulphur, ein Wortschwall, von dem Chert nur noch das Ende mitbekam.
    »... natürlich auch seltsame Zeiten — Ihr habt doch von den Gästen gehört, Großvater? Das hier ist einer von ihnen. Er möchte Euch etwas fragen.«
    Der alte Mann blickte von Nickel zu Flint und wieder zurück. Sulphurs Gesicht war ausgemergelt, die faltige Haut so lose, als wäre mit dem Alter sein Schädel geschrumpft. Seine Augen, obgleich offensichtlich fast blind vom Star, waren misstrauisch zusammengekniffen. »Will etwas fragen ... oder etwas haben?« Die Stimme war so rauh und brüchig wie eine Sandsteinklippe.
    »Ich habe ihnen mit allem Nachdruck erklärt, dass sie nur ...« Nickel verstummte und starrte den Alten an. Chert starrte ebenfalls hin. Die Kapuze des Alten bebte, als ob sein eines Ohr sich vom Kopf loszureißen versuchte. Gleich darauf reckte sich neben seiner Wange ein groteskes kleines Gesicht aus der Kapuze — alle außer Flint wichen erschrocken einen Schritt zurück.
    »Ha!«, sagte Sulphur. »Iktis, hierher.« Er klopfte mit der mageren Hand auf seinen Schoß, und das schlanke, pelzige

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