Die Daemmerung
sie.
Dickköpfig und ungezogen.
Und plötzlich durchzuckte sie eine Erkenntnis: Wenn sie diesen Weg weiterging, bestand keine Hoffnung mehr. Sie fühlte es, fühlte, wie Mauern immer enger zusammenrückten, alle Möglichkeiten erstickten, sodass am Ende des Wegs nur noch der Tod wartete — der Tod und noch etwas anderes, etwas Schlimmeres.
Es wartet,
wurde ihr klar, auch wenn sie nicht wusste, was
es
war. Etwas Hungriges, nur das wusste sie ganz sicher, und es wartete im Dunkel am Ende ihrer Reise auf sie.
Qinnitan fand das Gleichgewicht wieder und wartete, bis der Mann sie losließ, um Spatz zu packen. Da warf sie sich herum und rannte los, so schnell ihre wackligen Beine sie trugen, rannte geradewegs zum Rand des Stegs, ohne ihren Schritt zu verlangsamen, als der Namenlose schrie, sie solle stehenbleiben. Die Planken waren nass, und sie wäre beinah ausgerutscht und ins Wasser gefallen, bekam aber gerade noch einen Pfahl zu fassen. Sie hielt sich fest, kam schwankend an der Stegkante zum Stehen und hob dann die Hand, als der Mann, Spatz hinter sich herziehend, auf sie zukam.
»Nein!«,
sagte sie mit aller Kraft, die sie aufbieten konnte. Ihre Kehle war immer noch so rauh vom Salzwasser, dass das Wort nur als heiseres Krächzen herauskam. »Nein. Wenn Ihr noch einen Schritt näherkommt, ehe Ihr mich angehört habt, stürze ich mich ins Wasser. Ich tauche auf den Grund hinab und schlucke so viel Meer, dass ich tot bin, ehe Ihr mich erreicht.«
Er blieb stehen, und die Wut in seinem unauffälligen Gesicht verwandelte sich in etwas anderes, etwas Kälteres, Kalkulierendes.
»Ich weiß, ich kann Euch nicht entkommen«, sagte sie. »Lasst den Jungen gehen, dann tue ich, was Ihr wollt. Wenn Ihr ihn mitzunehmen versucht, bringe ich mich um, dann könnt Ihr dem Autarchen nur noch meinen Leichnam übergeben.«
»Ich lasse nicht mit mir handeln«, sagte der Namenlose.
»Lauf weg, Spatz?«, rief Qinnitan. »Los, lauf! Er wird dich nicht verfolgen. Lauf weit weg und versteck dich.«
Der Junge starrte sie nur an, und der Verletzungsschock auf seinem Gesicht wich etwas noch viel Herzzerreißenderem. Der Mann hielt ihn immer noch am Handgelenk fest. Spatz schüttelte den Kopf »Geh?«, sagte sie. »Sonst tut er dir nur immer weiter weh, damit ich tue, was er will. Lauf weg!«
Der Namenlose blickte von dem Jungen zu ihr. Er bückte sich und hob ein Stück Schiffsleine auf, das schlampig zusammengerollt auf dem Steg lag wie eine erschöpfte Schlange. »Binde dir ein Ende um die Taille, dann lasse ich den Jungen gehen.« Er schleuderte eine Schlinge der Leine zu ihr hin.
»Geh, Spatz«, sagte sie, während sie sich nach der Leine bückte, aber der Junge starrte sie nur hilflos und unglücklich an. »Geh?« Sie wandte sich an den Mann. »Wenn er dort bei der Treppe am Ende des Stegs ist, binde ich es mir um. Ich schwöre es als Novizin vom Tempel der Heiligen Bienen des Nushash.«
Jetzt lachte der Mann doch tatsächlich, ein rauhes, belustigtes Lachen. Irgendetwas an ihm war anders, bemerkte sie — seltsam anders, als hätte er ein wenig von seinem steinernen Panzer abgelegt. Aber er war immer noch furchterregend.
Der Mann nickte. »Also gut.« Über die Schulter rief er Spatz zu: »Verschwinde, Junge. Wenn sie sich das Seil umgebunden hat und du immer noch auf dem Steg bist, schneide ich dir die restlichen Finger ab.«
Spatz schüttelte vehement den Kopf, aber es war weniger verneinend als verzweifelt, dachte Qinnitan. »Geh?«, rief sie. Ein paar Leute am anderen Ende des Stegs drehten die Köpfe, jetzt doch von dem Schiffsbrand abgelenkt. »Ich kann nicht damit leben, dass du leidest, Spatz. Bitte — es ist das Beste, was du für mich tun kannst. Lauf!«
Der Junge zögerte noch ein paar Herzschläge lang, brach dann in Tränen aus, drehte sich um und rannte den breiten Steg entlang. Die Bohlen hallten unter seinen bloßen Füßen. Qinnitan erwog noch einmal, sich wieder in das kalte, grüne Wasser zu stürzen, doch ob es nun die schreckliche Erinnerung an ihren Beinahe-Ertrinkenstod vorhin war oder das Gefühl, wenigstens ein winziges bisschen an dem geändert zu haben, was vor ihr lag — sie band sich das Seil um und ließ sich von dem Namenlosen zu sich ziehen. Spatz, bemerkte sie erleichtert, war nicht mehr zu sehen.
Der einzige Mensch auf dieser Welt, der mich liebt,
dachte sie.
Weg.
Qinnitan ließ sich von dem Mann davonführen wie ein Opfertier, weg vom funkenstiebenden Chaos des Anlegers, in die
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