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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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lässt sich arrangieren«, erklärte der Autarch. »Und jetzt ein wenig zügiger, alle miteinander. Das war ein erlebnisreicher Morgen, und Euer Gottkönig hat Hunger.«

    Qinnitan war immer noch ganz benommen, als der namenlose Mann sie aus dem Rauch ins Sonnenlicht und über den Steg schleifte. Der arme Spatz humpelte neben ihnen her. Aus seiner Hand sickerte Blut durch den Behelfsverband, und sein kleines Gesicht war starr vor Schock.
    Wie konnte das sein? Wie konnte ihnen all das, was sie durchlitten und überlebt hatten, nicht mehr eingebracht haben als diese wenigen Augenblicke der Freiheit? Waren die Götter durch und durch böse?
    Verschone uns, großer Nushash,
betete sie.
Ich war Priesterin in deinem Bienentempel. Ich habe doch nur versucht, das Rechte
zu
tun. Himmlische Bienen, beschützt uns!
    Doch da waren keine Bienen, nur Rauch und Fetzen von verbrannten Segeln, die im Wind schwebten. Das Schiff, das sie hierhergebracht hatte, war so gut wie verschwunden, der Mast längst verkohlt und umgestürzt, nur ein Stück des brennenden Vorschiffs ragte noch aus dem Wasser. Hunderte Menschen drängten sich auf den Stegen, riefen einander Bruchstücke der Geschichte zu, gafften, während Männer in kleinen Booten Überlebende aus dem Wasser zogen.
    Manche waren unschuldige Seeleute,
dachte sie plötzlich,
so wie die Männer auf Dorzas Schiff. Einige waren vielleicht sogar anständige Menschen. Und jetzt sind sie tot, und ich bin schuld ...
    Was half es, darüber nachzudenken — über irgendetwas nachzudenken? Sie wurde irgendeiner unausdenklichen Bestrafung durch den Autarchen zugeführt, und ihre einzige Hoffnung, dem zu entkommen, hatte sich zerschlagen. Selbst wenn sie ins Wasser spränge, würde dieser namenlose, gnadenlose Vollstrecker nur hinterherspringen und sie wieder herausziehen. Vielleicht, wenn sie so viel Wasser schluckte, wie sie irgend konnte ...
    Aber dann wäre Spatz ganz allein,
ging ihr auf.
Dieses Ungeheuer würde ihn dem Autarchen übergeben, damit sie ihn foltern ... töten ...
    Plötzlich fuhr ein schrecklicher, stechender Schmerz durch Qinnitans Arm. Sie schrie auf, tat noch ein, zwei wankende Schritte, brach dann in die Knie. Im ersten Moment dachte sie, der Namenlose hätte ihr mit seinem Griff den Ellbogen gebrochen, aber er war an ihrer anderen Seite, hielt sie am anderen Arm. Er versuchte sie wieder emporzuzerren, aber ihre Beine waren so schlaff wie nasser Bindfaden.
    Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Der Schmerz in ihrem Arm wurde immer noch heftiger, als hätte sich ein Splitter des brennenden Schiffs in ihr Fleisch gebohrt wie ein Nagel in weiches Holz, als würde ihr Ellbogengelenk mit einem spitzen Messer bearbeitet.
    »Götter? Aufhören?«, schrie sie oder glaubte sie zumindest zu schreien, doch sie fiel in schwarzes Dunkel und wusste nichts mehr mit Bestimmtheit.
    Schatten bewegten sich um sie herum, augenlose Wesen, Worte murmelnd, die sie kaum hören konnte.
    »Tränen ...«,
flüsterte eins.
    »Speichel ...«,
sagte ein anderes.
    »Blut ...«,
sagte eine dritte, zittrige Stimme so leise, dass sie es kaum verstand.
    Ihr Arm brannte, als hätte sich der Knochen in ein weißglühendes Schüreisen verwandelt. Das Dunkel drehte sich in einem wilden Tanz um sie, und für einen Moment sah sie das Gesicht des rothaarigen Jungen ... Barrick! ... doch er sah sie offensichtlich nicht, obwohl sie seinen Namen zu rufen versuchte. Etwas umgab ihn und trennte sie von ihm — ein gefrorener Wasserfall, ein Glassturz —, und ihre Worte gelangten nicht zu ihm.
Eis. Fester Schatten. Getrenntsein ...
    Dann erschien die Welt um sie herum wieder, das Geschrei der Möwen und die lauten Stimmen von Menschen auf beiden Seiten fügten sich ein wie die letzten Teile eines hölzernen Puzzles. Die harten, grauen Planken des Stegs waren unter ihren Händen und Knien. Jemand zerrte sie auf die Beine, doch sie war noch nicht so weit und wäre fast wieder hingefallen, nur dieser kräftige, eisenharte Arm hielt sie aufrecht. Der Schmerz in ihrem eigenen Arm ließ nach, aber die Erinnerung daran nahm ihr immer noch den Atem.
    »Was soll das Spielchen?« Der Namenlose schüttelte sie roh. Er sah sich um, als könnte jemand etwas mitbekommen, doch von den Menschen auf dem Steg war niemand nahe genug, um etwas zu verstehen, selbst wenn er sich dafür interessiert hätte. Wir
müssen aussehen wie ein Vater mit zwei dickköpfigen Kindern,
dachte

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