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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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schattendunklen Gassen zwischen den schmalen Häusern, die sich am Hafen von Agamid drängten.

19

Träume von Blitzen und dunkler Erde
    Ein Tiefenettin, den man in Nordmark mit siedendem Öl tötete und aus seinem Gang hervorzog, war mehr als doppelt so groß wie ein ausgewachsener Mann. Seine Gebeine nahm König Lander später als Trophäe mit nach Syan. Die Hände des Ungeheuers, so heißt es, hatten jeweils die Größe von Landers mächtigem Schild.
    Eine Abhandlung über die Elbenvölker Eions und Xands
    Verzweifelt grub sie sich durch dunkle Erde, doch sobald sie etwas vom blassen Gesicht ihres schlafenden Zwillingsbruders sah, sank er tiefer in den Boden ein, war außerhalb ihrer Reichweite.
    Ein, zwei Mal streiften ihre Finger sogar seine Kleidung, bevor er wieder entglitt, doch so schwer sie auch arbeitete, so schnell sie die Erde beiseitescharrte — sie konnte ihn nicht erreichen. Barrick schien am Leben, nahm sie aber offenbar gar nicht wahr, warf sich hin und her, wie in einem Angsttraum gefangen. Sie rief immer wieder seinen Namen, doch er konnte oder wollte nicht antworten.
    Endlich ertastete sie etwas, und ihre Finger gruben sich in den verschwitzten Stoff seines Hemds, doch als sie daran zog, war das, was da wie ein Pilz aus dem dunklen Lehm hervorkam, nicht das blasse Gesicht ihres Bruders, sondern das von Ferras Vansen. Erschrocken ließ sie los, aber in dem Moment, als der Soldat wieder in der Erde versank, brach plötzlich der Boden unter ihr ein und sie fiel in rauhes, erdrückendes Dunkel.
    Jetzt war sie in einem unterirdischen Gang; weiße Wurzelenden schlängelten sich wie Würmer aus dem felsigen Erdreich über ihr. Plötzlich leuchtete vor ihr etwas silbern auf — nur ein Schimmer, doch hell genug, dass sie das Etwas erkannte, dem sie schon einmal hintergejagt war ... in einem anderen ...
    Wann? Sie erinnerte sich nicht. Aber sie wusste, dass es stimmte, und dass ihr dieses silberne Etwas entkommen war. Und sie war fest entschlossen, dass ihr das nicht noch einmal passieren würde. Doch so schnell sie auch hinterherkrabbelte: Auf allen vieren zu laufen war nun mal nicht ihre natürliche Fortbewegungsart, wohl aber die des schimmernden Etwas. Es war ihr immer eine Biegung voraus, und sie sah gerade noch einen hellen, buschigen Schwanz.
    Dann stolperte sie und schlug gegen die Tunnelwand. Der Tunnel stürzte über ihr ein, und Briony Eddon wachte auf.

    Als sie den Kopf bewegte, merkte sie befremdet, dass sie einen schweren Kopfschmuck trug — warum sollte sie zum Schlafen so etwas aufsetzen? Briony öffnete die Augen und fand sich in ihrem Wohngemach. Ihre Damen nähten oder stickten und unterhielten sich leise. Sie war am helllichten Tag im Sitzen eingeschlafen und hatte vermutlich im Schlaf vor sich hin gesabbert wie ein altes Weib.
    Ihre Freundin Ivgenia beobachtete sie mit einem leisen Lächeln. Hastig wischte sich Briony das Kinn ab. »Oh, wie schrecklich unhöflich von mir?«, beeilte sie sich zu sagen, während sie sich aufrichtete. »Ich muss eingedöst sein. Warum schaust du mich so an, Ivvie? Habe ich im Schlaf irgendetwas Schlimmes gesagt?«
    »Aber nein, Hoheit, nein.« Ivvies Lächeln wurde breiter. »Armes Ding. Zu viele zu lange Abende.«
    »Du machst dich über mich lustig. Es war das einzige Mal, dass es spät wurde — und es war die letzte Nacht der Großen Zosimia. Du bist es doch, die mir immer wieder sagt, ich soll mich unter den Leuten bei Hofe sehen lassen.«
    »Und Ihr
seid
gesehen worden. Ihr habt sogar getanzt? Niemand wird Euch je wieder vorwerfen, Ihr würdet Euch absondern.«
    »Getanzt?« Briony zuckte zusammen. Das hatte sie ganz gewiss nicht vorgehabt, aber die Festvergnügungen waren auf einen langen, langweiligen Tag gefolgt, und sie hatte wohl mindestens einen Becher Wein zu viel getrunken. »So wie du das sagst, klingt es schrecklich. Habe ich mich zum Narren gemacht?«
    Wieder lächelte Ivvie. »Ihr habt allerdings Aufmerksamkeit erregt, aber ich würde sagen, es war die Art von Aufmerksamkeit, um die Euch viele andere Mädchen beneidet haben.«
    »Hör auf Du bist grausam.«
    »Wir werden ja sehen. Euer Sekretär hat da ein paar Sachen, die Ihr Euch ansehen solltet.«
    »Was?« Sie war wirklich nicht ganz da. Diese Nächte unruhigen Schlafs und seltsamer Träume — von Wäldern, Erde, in der sie grub, dunklen unterirdischen Gängen voller Wurzeln — forderten ihren Zoll. Aber das war keine Entschuldigung für törichtes Verhalten.
    Feival Ulian

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