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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht mehr lange in sein Versteck würde drücken müssen: Allmählich taten ihm Rücken und Hintern weh.
    »Aber ich frage mich, was das heißt — ›wolkig‹?« Okros klang, als folgte er Tolly. »Ich habe in drei Übersetzungen nachgesehen, und überall steht etwas Ähnliches. Wolkig, neblig, nie verschmiert oder beschmiert. Es geht um einen Spiegel, Herr. Wie bekommt man einen Spiegel wolkig von Blut?«
    »Ach, Götter«, sagte Tolly hörbar ungeduldig. »Indem man ein paar Jungfrauen die Kehle durchschneidet, nehme ich an. Ist es nicht immer das, was diese Alten wollen? Opfer? Selbst in dieser verderbten Stadt werden sich doch wohl ein paar Jungfrauen finden lassen — es gibt schließlich immer noch Kinder.«
    Noch während er mit Grauen begriff, was Tolly da sagte, merkte Kettelsmit plötzlich, dass die Stimmen wieder zurückkamen — dass Hendon Tolly umgekehrt war und jetzt genau auf die Treppe zusteuerte, wo er sich versteckte. Ohne sich aufzurichten, drehte er sich um und kroch auf allen vieren die Stufen hinauf. Hinter der ersten Treppenbiegung erhob er sich und hastete weiter, wobei er Schnelligkeit mit Lautlosigkeit zu verbinden suchte. Unten hörte er noch immer Tolly und den Arzt debattieren, verstand aber nur einzelne Fetzen: Zu seiner unendlichen Erleichterung schienen sie nicht die Treppe heraufzukommen.
    »... Phantome ... Lande, die nicht ...« Okros' Stimme war so leise wie Wind, der um die Burgsöller wehte. »... wir
können
nicht riskieren ...«
    »... Götter selbst ...« Tolly lachte wieder, und vor Häme wurde seine Stimme lauter. »Die ganze Welt wird auf die Knie fallen und
schreien!
    Oben angekommen, taumelte Kettelsmit durch den Türbogen. Was ihn jetzt zittern ließ, war nicht mehr nur die Furcht vor Entdeckung. Irgendwie hatte sich Hendon Tollys Stimme verändert — diese letzten Worte hatten wie der Ausbruch von etwas Nicht-Menschlichem geklungen.
    Eine ganze Weile stand er am oberen Eingang zur Treppe und versuchte, lautlos zu atmen, während er nach Schritten auf den Stufen horchte, aber er hörte jetzt nicht mal mehr die Stimmen. Trotzdem: Vielleicht waren Okros und der Protektor ja nur in den angrenzenden Raum gegangen. Er würde so lange warten, bis er sicher war, dass unten keine Gefahr mehr drohte. Tolly machte ihm sowieso schon Angst, aber ihn so leichthin von Blutopfern sprechen zu hören — und dann dieses Lachen, dieses grässliche Lachen ... Nein, er würde notfalls hierbleiben, bis es Nacht wurde. Nur nicht dem Herrn der Südmarksburg begegnen!
    Als er schließlich den Drang verspürte, seine Beine zu bewegen, sich aber immer noch nicht hinunterwagte, spazierte er leise durch den oberen Gang, vorbei an den offenen Türen von Lagerräumen, die jetzt geräumt wurden, um weitere Unterkünfte für hochgeborene Flüchtlinge zu schaffen. Am anderen Ende des Gangs ging ein Fenster nach Süden hinaus, mit Blick auf den Garten und das Tor der Hauptburg. Ja, durch das kleine Sprossenfenster konnte Kettelsmit sogar auf den Teil der Bucht schauen, wo einst der Dammweg Südmarkstadt und die Inselburg verbunden hatte. Das jenseitige Ufer sah irgendwie seltsam aus. Kettelsmit starrte eine ganze Weile hin, bis ihm die ängstlichen Gespräche wieder einfielen, die er am Morgen gehört hatte, beunruhigtes Gewisper unter den Höflingen, dass die Zwielichtler nach einer langen Phase der Ruhe irgendetwas ausheckten.
    »Seltsame Geräusche« wollten einige mitten in der Nacht gehört haben. »Sprechchöre und Gesänge.« »Nebel«, hatten andere behauptet, »überall ein einziger Nebel. Und kein natürlicher.«
    Tatsächlich sah Kettelsmit eine ausgedehnte Nebelwolke über der Festlandküste liegen, und zuerst hielt er die dunklen Schatten in der Nebelsuppe für schwarze Rauchschwaden, den Rauch mächtiger Feuer, die die Zwielichtler am Strand entzündet hätten, doch obwohl die Nebelschwaden im Wind wallten, taten es die dunklen, rankenförmigen Schatten nicht. Etwas ... etwas
wuchs
da aus dem Nebel. Aber was? Und warum?
    Kettelsmit schüttelte ratlos den Kopf. Nachdem einige Monate nichts Neues mehr geschehen war, hatte man schon beinah vergessen können, dass die Qar immer noch da waren, so tückisch und unsichtbar wie ein böses Fieber. War diese gespannte Ruhe jetzt vorbei?
    Gefangen zwischen den Zwielichtlern und den Tollys,
dachte er.
Ebenso gut könnte ich mir gleich die Kehle durchschneiden.
    Matty Kettelsmit befand, dass er sich lange genug versteckt hatte — sicherer würde

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