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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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traurigen, stummen Relikte geblieben waren?

    »Wie weit noch?«, fragte er Skurn wieder. Es war sein dritter Tag in diesem Grasland, und sein neuer Optimismus bröckelte unter der Monotonie dieses Marsches, immer den Fluss entlang, durch die Moore und jetzt diese leeren Wiesen. Hier blies fast ständig Wind, sodass Barrick selbst auf topfebenem Grund das Gefühl hatte, bergauf zu gehen, und seine zerschlissenen Kleider wärmten ihn nicht gerade.
    »Zur Stadt der Nachtmänner? Dem üblen Ort?« Skurn schüttelte müde-tadelnd den Kopf. »Schrecklich weit immer noch. Tage und Tage zu Fuß.«
    Barrick runzelte die Stirn. Was hatte der blinde König in dem Traum gesagt, den ihm die Schläfer eingegeben hatten?
»Komm schnell, Kind. Wir eilen dem Dunkel entgegen.«
Die Zeit war knapp, so viel stand fest ... aber was war dieses Dunkel, das der Zwielichtlerkönig fürchtete?
    Doch die Flusswiesen waren nicht nur öde. Im Gegensatz zu dem dichten, unwegsamen Wald war dieses Terrain wenigstens nach oben hin offen, sodass Barrick erstmals seit langem den Himmel der Schattenlande über geraume Zeit beobachten konnte. Der blieb zwar in ständigem Zwielicht, war aber keineswegs so unveränderlich, wie er gedacht hatte: Die Wolken bewegten sich mit dem Wind, und die Farbe des Himmels schwankte zwischen perlmutten-hellem Nebelgrau und dem härteren Lilagrau von Gewitterstimmung. Vogelformationen zogen über ihn hinweg, zu hoch, um sie klar erkennen zu können, aber allem Anschein nach so natürlich wie die, die er aus gastlicheren Gegenden in Erinnerung hatte. Und der Fluss war, wenngleich langsamer als in den Hangregionen hinter ihm, doch immer noch so lebhaft und abwechslungsreich, dass Barrick erstmals, seit er die Schattengrenze überquert hatte, eindeutig sah, wie er vorankam.
    Manchmal war es fast, als wäre er wieder in den Landen der Sonne. Obwohl es hier nie richtig dunkel und nie richtig hell wurde, waren beide Ufer des Fahlstroms voller Leben. An manchen Stellen breitete sich das Wasser bis in die Wiesen aus und bildete Sümpfe mit bleichem, nickendem Röhricht, die Halme wie dünne Knochen. An anderen ließen Weiden ihre Äste ins Wasser hängen — wie Frauen, die ihr Haar wuschen. Aufgeblasene schwarze Frösche, die hohe, fragende Töne von sich gaben, verstummten, wenn er vorüberging, um dann hinter ihm wieder einzusetzen. Gelegentlich raschelte etwas Größeres unsichtbar im Schilf, und einmal hob ein Hirsch, der am Wasser trank, den Kopf, um ihn anzusehen. Er war dunkel, aber mit einem prächtigen, silbrigen Geweih, und so lautlos, ruhig und imposant, dass Barrick Mühe hatte, ihn einfach nur für ein Tier zu halten, und ihm erst, als das Geschöpf längst verschwunden war, der Gedanke kam, dass er ja hätte versuchen können, es zu töten.
    Auch im Fluss selbst war Leben, von kleinen Schwärmen glitzernder Fische im Stillwasser bis zu größeren Wesen, die er nicht richtig sah, nur als stachlige Rücken, die durch die Oberfläche schnitten, oder als dahingleitende, längliche Schatten im Wasser.
    Doch das alles nützte nicht viel gegen seinen Hunger. Nachdem er ein, zwei kalte, nasse Stunden damit verbracht hatte, im Wasser umherzuwaten, musste er einsehen, dass die glänzenden Fische zu flink waren, um sie zu fangen, und das Nahrhafteste, das er der Vogelwelt dieser Sümpfe abringen konnte, war das eine oder andere Nest mit kleinen, seltsam gefärbten Eiern. Diese und die essbaren Wurzeln und Halme, die ihm Skurn empfahl, waren seine ganze Kost. Dass er jetzt Feuer hatte, um Nahrung zuzubereiten, nützte wenig, wenn es nichts zuzubereiten gab. Nachdem Barrick dem Fluss vielleicht eine Woche durch dieses endlos scheinende Grasland gefolgt war, vermochte ihn nicht einmal mehr sein geheilter Arm zu begeistern. Es war wenig erhebend, den Arm wieder ungehindert bewegen zu können, wenn der Magen ständig vor Hunger schmerzte; und wenn die Finger auch nicht mehr klauenartig verkrümmt waren, so waren sie doch rot und rauh vom ewigen kalten Wind.

    Als sich die Bäume vom Flussufer auf das umliegende Land auszubreiten begannen, zuerst nur in kleinen Grüppchen, dann als größere Gehölze von Birken und Buchen, durchsetzt mit Nadelbäumen und anderen Baumarten, die er nicht kannte, war Barrick zunächst froh.
    Unter dem Kronendach schien es etwas wärmer, und es war auf jeden Fall windgeschützter. Doch die Bäume erschwerten es auch, vorwärtszukommen, ohne sich vom Fluss zu entfernen, und weckten zudem unangenehme

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