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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Erinnerungen an die Seidenwickler. Lebten die bleichen, abscheulich triefäugigen Kreaturen auch in diesem Wald hier? Oder beherbergte er womöglich noch Schlimmeres — Schlangen, Wölfe oder irgendwelche Kreaturen, die zu taufen kein Sterblicher mehr Gelegenheit gehabt hatte?
    Von Skurn hatte er hier noch weniger Hilfe zu erwarten als sonst. Je dichter der Wald wurde, desto beschäftigter war der Vogel mit dem Auffinden neuer, interessanter Mahlzeiten, und wenn auch einiges davon — etwa die größere Fülle an Vogelnestern — Barrick ebenfalls zugutekam, hatte er doch von anderem — wie zum Beispiel den gefleckt-grauen Nacktschnecken, die der Rabe für »süßlich und schön schlürfig« erklärte — überhaupt nichts. Er war zwar hungrig genug, um einen Bissen von dem glibbrigen Ding zu kosten, aber um nichts auf der Welt hätte er einen zweiten genommen.
    Und so war es denn, nach tagelangem Marsch durch das leere Land, immer in Richtung Schlaf, ein durchnässter, erschöpfter, unglücklicher und sehr hungriger Barrick Eddon, der dem Flickenmann begegnete.

    Regen pladderte auf die Blätter über ihm, selbst über dem Tosen des Flusses hörbar. Barrick hatte eine ganze Weile mit feuchtem Reisig gekämpft, bis es ihm endlich gelungen war, es zu entzünden, und hatte das Feuer gerade so weit, dass es von selbst weiterbrannte, als er plötzlich ein Geräusch hörte und in einiger Entfernung im Uferschilf eine aufrechte Gestalt erblickte. Der Störenfried gab sich keine große Mühe, sich unauffällig zu bewegen, doch Barrick sträubten sich die Nackenhaare, und er richtete sich in der Hocke auf und zog die Speerspitze aus seinem Gürtel.
    So verharrte er sprungbereit, während das Etwas näherstolperte. Es schien ihn überhaupt nicht zu bemerken — es sei denn, sagte sich Barrick, das war eine List. Er hielt den Atem an und rührte sich nicht, während das Wesen aus dem Schilf herauskam und den grotesken Kopf in seine Richtung drehte. Einen Moment lang schienen Barricks schlimmste Ängste Fleisch geworden — das Ding war ein Monstrum, ein wirrer Haufen von bizarren Farben und wedelnden Hautlappen.
    Barrick sprang auf, unsicher, ob er angreifen oder flüchten sollte, und merkte dann erst, dass das, was er für den Kopf der Kreatur gehalten hatte, nur eine gegen den Regen tief ins Gesicht gezogene Kapuze war. Die Lappen waren zerschlissene Kleider in erstaunlich leuchtendbunten Farben, sodass die seltsame Gestalt nicht gerade wie ein wildes Waldwesen aussah, sondern eher einer religiösen Prozession entsprungen schien.
    Barrick erschrak fürchterlich, als Skurn plötzlich auf seiner Schulter landete. »Nicht gut«, krächzte der Vogel leise und ängstlich. »Nie gesehen, so was. Bleibt weg davon. Gefällt unsereinem gar nicht.«
    Das Etwas hatte jetzt ihr Feuer entdeckt, kam mit wedelnden Armen auf sie zugelaufen und rief mit kratziger Stimme.
»Gawai hu-ao! Gawai!«
    Barrick wich einen Schritt zurück und schwenkte die Speerspitze. »Halt!«, rief er. »Skurn, sprich Zwielichtlersprache mit ihm! Sag ihm, er soll stehenbleiben!«
    Die zerlumpte Gestalt blieb stehen, schob die Kapuze zurück und enthüllte ein bleiches, dreckverschmiertes Gesicht, das für Barrick ziemlich normal aussah — ja, ebenso menschlich wie sein eigenes. »Was ... was habt Ihr gesagt?«, fragte die Gestalt. »Ist das Sonnländisch?«
    Es dauerte einen Moment, bis Barrick wieder einfiel, dass »sonnländisch« das Wort der Zwielichtler für alles auf der anderen Seite der Schattengrenze war. »Ja«, sagte er, hielt aber die Waffe immer noch auf den Ankömmling gerichtet. »Ja — da komme ich her. Du sprichst meine Sprache?«
    »O ja! Ich erinnere mich daran!« Der Fremde tat noch ein paar wankende Schritte auf ihn zu. »Oh, und beim Schwarzen Herd, Ihr habt ein Feuer — seid gesegnet, Herr!«
    Barrick gebot ihm mit der Speerspitze Einhalt. »Stehenbleiben. Was willst du? Und wer bist du?« Er musterte die bizarre Gestalt. »Du siehst nicht aus wie ein Zwielichtler. Du siehst aus wie ein Mensch.«
    Das verdutzte den Fremdling: Seine Stirn legte sich auf fast schon komische Art in nachdenkliche Falten. Er hatte auf jeden Fall nicht die extreme Langknochigkeit der Qar. Sein Gesicht war mager, und in jeder Falte saß Dreck. Sein Haar war nass und verfilzt, voller Blätter und Zweigstücke. Doch obwohl ihm überdurchschnittlich viele Zähne fehlten, schien er nicht viel älter als der Prinz selbst.
    »Mensch? Ein Mensch?« Der Bursche nickte

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