Die Daemmerung
Vertraut
darauf,
wenn Ihr auf sonst nichts vertrauen könnt.«
Er führte ihre Hand an seine Lippen und küsste sie ein zweites Mal. Im nächsten Moment hatte er sich umgedreht und war im Schattendunkel des Gartenweges verschwunden.
»Ich verstehe immer noch nicht ganz, was Ihr vorhabt, Prinzessin Briony«, sagte Eneas, als sie durch eine enge Gasse parallel zur Laternenstraße gingen. Bisher hatten sie, wie von Briony bezweckt, wesentlich weniger Aufmerksamkeit erregt, als es auf der großen Durchgangsstraße der Fall gewesen wäre. Trotzdem war es unmöglich, sich mit dem Kronprinzen, seiner Leibwache und zwei Ochsenkarren in die Stadt hinauszubegeben, ohne einen Menschenauflauf zu verursachen.
»Dann macht Ihr mir das größtmögliche Kompliment, indem Ihr mir vertraut.« Kaum, dass es draußen war, fürchtete Briony, es könnte klingen, als versuchte sie ihn zu bezirzen.
Er ist schließlich ein feiner Mensch — ich schulde ihm mehr als nur die üblichen höfischen Artigkeiten.
»Ehrlich, ich habe Euch gesagt, was ich Euch sagen kann. Wenn ich noch irgendetwas sage, werdet Ihr nicht mehr befürchten, dass ich den Verstand verloren habe — Ihr werdet davon überzeugt sein?«
Eneas lachte. »So etwas wie ein alltägliches Gespräch gibt es mit Euch wahrhaftig nicht, Briony Eddon. Schon deshalb würde ich Euch liebend gern überallhin begleiten. Nur habt Ihr mich in diesem Fall gebeten, einen Teil meiner eigenen Stadt aufzusuchen, den ich, offen gestanden, nicht gut kenne. Unterbruck ist verrufen wegen der seltsamen Leute, die dort wohnen, und der noch seltsameren Dinge, die dort geschehen.«
»Die Leute dort sind seltsam, wenn Körpergröße der einzige Maßstab ist«, sagte sie. »Aber wenn sie so sind wie die Funderlinge bei uns zu Hause, Hoheit, dann sind sie bestimmt ehrliche Bürger — so ehrlich wie alle anderen zumindest.«
Eneas nickte. »Ein wichtiges Kriterium. Aber wir sollten sie darin nicht vorschnell größeren Leuten gleichstellen — vielleicht nimmt Unehrlichkeit ja wie der Preis von Fisch und Fleisch mit dem Gewicht zu.«
Briony musste lachen.
Wie es seine Art war, hatte Dawet dan-Faar ihren Besuch hervorragend vorbereitet: Als sie Unterbruck erreichten, öffneten die Kallikan unverzüglich die Tore ihres Zunfthauses und baten die Gäste herein, samt Ochsenkarren und allem. Drinnen war es dunkel, und die Decken waren niedrig. Mehrere kleine Stallknechte erschienen, brachten die Ochsen weg und fingen an, die Karren zu entladen. Auf seine Art war das Zunfthaus der Kallikan ebenso eine Welt für sich wie der Weithallpalast — wenn auch natürlich in allem kleiner.
Eine Gruppe gepanzerter Kallikanwachen erschien, um sie in den eigentlichen Saal zu führen. Sie trugen etwas, das wie Zeremonial-Grabstöcke aussah.
»Entschuldigt, hohes Fräulein ... und hoher Herr«, sagte einer von ihnen mit einer Verbeugung. »Folgt uns bitte.«
Dieser höfliche kleine Bursche erinnerte sie plötzlich an den Tag jener Drachenjagd in Südmark und den Funderling, den ihr Pferd beinah niedergetrampelt hätte. Das war der Tag, an dem alles aus dem Lot geraten war — der Tag, an dem sie zu Hause die Botschaft erwartet hatte, dass der Schurke, der ihren Vater in Geiselhaft hielt, sie zur Frau wolle. Doch was sich jetzt in Verbindung mit jenem Tag in ihrer Erinnerung regte, war etwas anderes ... etwas, das mit ihrem verschollenen Zwillingsbruder zu tun hatte.
O Barrick, wo bist du?
Es tat weh, an ihn zu denken, obwohl kaum je eine wache Stunde verging, ohne dass sie es tat. Die Träume von unterirdischen Gängen hatten aufgehört, aber sie vermisste ihn noch so schmerzlich wie eh und je.
An jenem Jagdtag, der eine Ewigkeit her schien, hatte Shaso sie und Barrick vor dem Ungeheuer von der Schattengrenze gerettet, und Kendrick war unter dem Kadaver seines Pferdes hervorgezogen worden, bis auf ein paar Kratzer und blaue Flecken wundersamerweise unverletzt. Viele Höflinge und Jäger waren herbeigerannt, um sich um ihren älteren Bruder zu kümmern, doch Briony hatte sich mehr Sorgen um ihren Zwillingsbruder und seinen verkrüppelten Arm gemacht. Dennoch hatte sich Barrick, als sie ihm helfen wollte, wütend weggedreht, und Briony hatte ihn gefragt, warum er immer gegen die Menschen ankämpfte, die ihn liebten.
»Wenn ich darum kämpfe, in Ruhe gelassen
zu
werden, heißt das, dass mir mein Leben etwas wert ist«,
hatte er ihr erklärt.
»Wenn ich aufhöre
zu
kämpfen — wenn ich nicht mehr die Kraft habe,
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