Die Daemmerung
sichtbaren Teil des Pellos in leuchtendes Kupfer verwandelte. Das verhieß Gutes für sein Vorhaben, Onsilpienstatt, die bedeutendste Wallfahrtsstätte im Norden, noch deutlich vor Beginn des Mittsommerbußfestes zu erreichen — was zufriedene Kundschaft bedeuten würde. Er führte diese Pilgerzüge, schon seit er ein junger Mann gewesen war, doch trotz seiner langjährigen Erfahrung war auch Theron nicht gegen Überraschungen gefeit. Deshalb hatte er mit diesem Zug eine Route weit südlich der Brennsbucht gewählt. Er wollte nichts mit all diesen verrückten Dingen zu tun haben, die sich angeblich in Südmark abspielten — die Burg von Elbenarmeen belagert, die königliche Familie in alle Winde zerstreut!
Er war gerade damit fertig, mit Avidel, seinem Lehrling, die Verproviantierung zu besprechen, als der Junge des Krüppels auftauchte. »Er will mit Euch sprechen«, erklärte ihm der Junge.
Theron fluchte leise und sah sich nach dem zerlumpten, vom Schicksal geschlagenen Bettler um. Aber nein, ermahnte sich Theron, er sollte den Mann nicht so nennen: Bettler war ja wohl kaum die richtige Bezeichnung für jemanden, der einen ganzen Golddelphin dafür zahlte, sich für einen Bruchteil der Wegstrecke dem Pilgerzug anschließen zu dürfen.
Theron folgte dem Jungen zu dem niedrigen Hügel, wo der Krüppel in einigem Abstand von den übrigen Mitgliedern des Pilgerzugs wartete. Der vermummte Mann, dessen geschwärztes, verbundenes Gesicht Theron noch nie richtig gesehen hatte, zeigte nicht das leiseste Interesse für seine Mitreisenden, außer wenn es darum ging, an ihrem Feuer und den Mahlzeiten aus dem Gemeinschaftstopf teilzuhaben. Er sprach lediglich auf dem Weg und über den Jungen, und auch das nur selten, deshalb war es überraschend, dass er jetzt mit Theron sprechen wollte.
Der Krüppel schien über das sanfthügelige Land auf den weiten Bogen des Pellos zu starren. So fern und klein wie eine Ameise auf einem Ast schleppte ein Ochse von einem Treidelpfad aus einen Lastkahn, und mehrere kleine Ruderboote dümpelten im Stillwasser der Flusskrümmung, während Fischer aus Silverhalden ihre Netze auswarfen.
»Schöner Abend, hm?«, sagte Theron, als er sich dem Krüppel näherte. Er freute sich schon darauf, in sein Bettzeug zu kriechen und der Flasche Wein zuzusprechen, die er in seiner Reisetruhe versteckt hatte — nicht deshalb, weil die anderen Pilger sich darüber entrüsten würden, sondern weil er die Flasche, solange sie versteckt war, nicht teilen musste. Er würde sie nicht mehr füllen können, bis sie Onsilpienstatt erreicht hatten, was noch Tage dauern würde.
Der vermummte Mann winkte mit der verbundenen Hand, und der Junge stellte sich auf die Zehenspitzen, um seine gemurmelten Worte zu hören. »Wie weit ist es nach Südmark?«, fragte der Junge.
»Südmark?« Theron runzelte die Stirn. »Mindestens ein Tagzehnt, wenn man den ganzen Tag reitet. Für eine Gruppe wie unsere eher einen Monat. Aber wir begeben uns natürlich nicht mal in die Nähe von Südmark.«
Der gebeugte Mann murmelte wieder etwas und der Junge lauschte. »Er will, dass Ihr ihn dorthin bringt.«
»Was?« Theron lachte. »Ich dachte, dein Herr sei nur am Körper versehrt und nicht am Geist, aber ich scheine mich getäuscht zu haben? Wir haben schon darüber gesprochen, als er in Onir Plessos zu uns gestoßen ist. Dieser Pilgerzug geht nicht nach Südmark und noch nicht mal in die Gegend. Ja, näher als jetzt werden wir Südmark nicht kommen.« Er fuchtelte mit den Händen. »Wenn dein Herr alleine losziehen will, werde ich ihn natürlich nicht aufhalten. Ich werde sogar für ihn beten, und das wird er, bei den Göttern, auch nötig haben, und du auch, Kind. In den Landen zwischen hier und dort lauern ja angeblich nicht nur die üblichen Beutelschneider und Räuber, sondern noch Schlimmeres — viel Schlimmeres.« Er beugte sich zu dem Jungen. »Kobolde, heißt es. Elben und Irrwichte. Wesen, die nicht nur dein Geld, sondern deine Seele stehlen.« Theron richtete sich auf »Also, wenn er so viel Verstand wie Geld hat, bleibt er bei uns, bis wir Onsilpienstatt erreichen. Ich weiß, er hält geheim, was ihm fehlt, aber ich habe da meine Vermutungen. Sag ihm, dass es dort ein Asyl für Aussätzige gibt, das seine Pfleglinge wahrhaft gut behandelt.«
Der Junge lauschte einem weiteren Strom von Geflüster aus den Tiefen der Kapuze und wandte sich dann wieder an Theron. »Er sagt, er hat keinen Aussatz. Er war tot. Die Götter
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