Die Daemmerung

Traumlosen selbst.
    Qu'arus sprach im Schlaf, ein fremdartiges Gemurmel, das zwar wie Wörter klang, für Barrick aber nicht verständlicher war als das Seufzen des Windes.
    »Wie bist du dazu gekommen, einer solchen Kreatur zu dienen?«, fragte Barrick.
    Pick sah auf, das Gesicht mühsam beherrschter Schmerz. »Ich ... ich hatte mich verirrt. Er hat mich gefunden. Er war gütig zu mir und nahm mich in seine Dienste.«
    »Gütig? Dieses ... Etwas? Das kann ich nicht glauben.« Pick sah ihn schockiert an. »Aber er war ... er ist ...«
    Barrick zuckte die Achseln. »Wenn du es sagst, war es wohl so.« Den anderen Traumlosen, Ueni'ssoh, hatte er als herzloses Monster erlebt. Konnte diese Kreatur wirklich so anders sein, oder war dieser Pick nach seinen Erlebnissen hinter der Schattengrenze nicht mehr ganz richtig im Kopf?
    »Hunger«, sagte Skurn plötzlich. Der Rabe schwang sich vom Heck des Boots, flatterte schwerfällig über das Röhricht am Flussufer und in den Wald.
    Was hat dieser Vogel?,
fragte sich Barrick.
Davor hat er ewig kein Wort mehr gesagt. Gewöhnlich habe ich doch keinen Moment Ruhe vor seinem Geplapper.

    Als ihre Bootsfahrt sich hinzog und nach Barricks Gefühl Tage vergingen, wurde offensichtlich, dass Skurn nicht nur schweigsam war, sondern aktiv ihre Gesellschaft mied: Er verbrachte die meiste Zeit in der Luft, und selbst wenn er von seinen einsamen Ausflügen zurückkehrte, hockte er meist auf dem Heck, einer geschwungenen Konstruktion aus schwarz gebeiztem Holz, die Barrick bis über den Kopf reichte, und beobachtete stumm den Fluss und das vorbeigleitende Ufer.
    Vielleicht kann er ja den Blemmy nicht leiden,
dachte Barrick.
Der ist ja bei den Göttern auch hässlich genug, um jedem Angst
zu
machen.
    Der Blemmy war zwar in der Tat hässlich, aber auch sehr stark, und er bewältigte plötzlich auftauchende Strudel oder Felsen mit ein paar kurzen Ruderschlägen. Barrick konnte sich nur ausmalen, wie es sein musste, wenn zwei dieser kopflosen Wesen gemeinsam ruderten — mit Sicherheit eine sehr schnelle Fortbewegungsart.
    Einmal, auf einem schwierigen Abschnitt des Flusses, wo der Blemmy das Boot zwischen zwei großen Felsen hindurchmanövrieren musste, die nur am Brodeln der Wasseroberfläche zu erkennen waren, verlor Barrick beinah Gyirs Spiegel. Als sein Oberkörper mit der jähen Bootsbewegung mitging, fiel ihm der Lederbeutel aus dem Hemd und drohte von der Bank ins Wasser zu hüpfen. Barricks einst verkrüppelte linke Hand schoss hervor und fing ihn in der Luft wie ein Sperber einen Spatzen.
    Eine ganze Weile starrte er nur auf den Beutel, verblüfft über die Fähigkeiten seines Arms, aber auch entsetzt beim Gedanken, was um ein Haar passiert wäre. Wie konnte er so leichtfertig mit dem Spiegel umgehen? Der war doch jetzt sein Lebenssinn. Er suchte das Boot ab, bis er ein übriges Stück der erstaunlich dünnen Ankerleine fand, und säbelte mit seiner Speerspitze einen Teil davon ab. Er bohrte ein Loch in den Beutel, zog die Leine durch, knotete sie zusammen und hängte sich den Beutel um den Hals, ehe er ihn wieder in sein Hemd steckte.
    Jetzt tauchten andere Boote auf dem Fluss auf, hauptsächlich kleine Fischerskiffs, bemannt mit ein, zwei zerlumpten Traumlosen. Barrick sah am Ufer das eine oder andere Haus und sogar ein paar kleinere Siedlungen, vermutlich bewohnt von ebendiesen grauhäutigen Wesen. Doch manche Boote waren um einiges größer als ihr eigenes, Segelkähne mit breiten, blutergussfarbenen Segeln oder sogar galeerenartige Gefährte, gerudert von einem halben Dutzend Blemmys.
    »Sind wir jetzt bald in Schlaf?«, fragte er Pick, als wieder ein solches Wasserfahrzeug an ihnen vorbeigeglitten war und sie in seinem Kielwasser schaukelten.
    »Einen Tag noch — nein, etwas mehr«, sagte der Zerlumpte zerstreut. Sein Herr lebte noch, wenn es auch nur ein letztes Fünkchen Leben war, und Pick wich so gut wie nie von seiner Seite.
    Später an diesem langen, grauen Nachmittag tauchte Qu' arus wieder aus seinem Dämmerschlaf auf, doch diesmal blieben seine glänzenden Augen geöffnet und schienen alles zu beobachten, obwohl sein Körper immer noch kraftlos und unbeweglich dalag.
    »Hier, Herr, nehmt etwas Wasser zu Euch«, sagte der Lumpenmann und drückte seinen feuchten Lappen über Qu'arus' Mund aus.
    »Pikkhh«, brachte der graue Mann heiser hervor. Er sprach jetzt zum ersten Mal sonnländisch, war aber wegen seines harten Akzents kaum zu verstehen. »Ich sehe dich nicht