Die Daemmerung
unsereins ja ausfliegen und versuchen, Euch etwas zu finden«, sagte er beiläufig. »Vielleicht.«
Barrick konnte dieses Freundschaftsangebot nicht übersehen. »Ja, das wäre gut, Skurn. Vielen Dank.« Er blickte auf die pechschwarzen Dunkellichtschwaden entlang der Ufer. »Such uns einen Ort, wo das Dunkel nicht so dicht ist — eine Insel vielleicht. Ungenutzt. Am besten wild.«
Der schwarze Vogel schwang sich in einer Spirale empor und flog dann auf das nähergelegene Ufer zu.
»Mein Magen ist leer«, sagte Barrick, während er dem Raben nachsah. »Wenn wir einen Fisch aus diesem Wasser fingen, würden wir uns damit vergiften?«
Beck schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Aber es ist schon etwas zu essen im Boot. Ich bezweifle, dass es jemand angerührt hat, nachdem wir meinen Herrn nach Hause brachten. Als wir auf unserem Jagdausflug so viele Männer verloren hatten und mein Herr verwundet worden war, haben wir gar nichts mehr davon gegessen — es müsste noch eine ganze Menge Dörrfleisch und Wegbrot da sein.« Er kroch Richtung Bug und fand unter der vordersten Bank einen großen, wasserdichten Beutel. »Ja, hier?«
Die Vorräte schmeckten eigentümlich muffig, doch Barrick war viel zu müde und zu hungrig, um sich daran zu stören. Sie teilten sich eine Handvoll Dörrfleisch und zwei Stücke Brot, die so hart waren wie Stiefelleder und Barrick an die braunen Roggenmischbrotlaibe zu Hause erinnerten.
»Und Ihr seid wirklich Prinz Barrick!« Raemon Beck hatte sich etwas erholt. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich Euch wiedersehe, Herr — und ausgerechnet hier?«
»Wenn Ihr es sagt. Ich kann mich an unsere Begegnung nicht erinnern.« In Wahrheit wollte sich Barrick an gar nichts erinnern. Er hatte nichts mit dem zerlumpten Mann gemein. Es war so erleichternd gewesen, alles hinter sich gelassen zu haben — seine Vergangenheit, sein Erbe, seine Schmerzen —, und er hatte keine Eile, irgendetwas davon wieder zurückzuholen.
Beck erzählte ihm stockend, wie sein Handelszug von den Qar überfallen worden war und er allein überlebt hatte und wie er, nachdem er seine Geschichte erzählt hatte, vor den Kronrat gerufen und dann an denselben Ort an der Straße nach Settland zurückgeschickt worden war. Es dauerte eine ganze Weile; Becks Gedächtnis war durch die lange Zeit hinter der Schattengrenze — noch länger, als Barrick jetzt hier war — ziemlich getrübt, und jeder Name, den er wieder zutage förderte, war für ihn ein Triumph, für Barrick jedoch nur schmerzhaft.
»Und dann befahl Eure Schwester dem Hauptmann ... wie hieß er doch gleich? Der Große?«
»Vansen«, sagte Barrick ausdruckslos. Der Gardehauptmann war in schwarzes Dunkel gestürzt, als er Barricks Leben verteidigte, nachdem ihn Barrick so oft verflucht hatte. Nahm diese Parade unseliger, unnützer Erinnerungen denn nie ein Ende?
»Ja, Eure Schwester hat ihm befohlen, mich dahin zurückzubringen, wo unser Zug überfallen worden war. Aber wir kamen nie dort an — ich jedenfalls nicht. Ich wachte mitten in der Nacht auf, und um mich herum war Nebel. Ich rief und rief, aber niemand fand mich. Jedenfalls niemand von den Männern, mit denen ich geritten war ...« Raemon Beck verstummte schaudernd und wollte kein Wort mehr darüber sagen, was ihm zwischen jener Nacht und dem Moment, da ihn Qu'arus in sein Haus in Schlaf aufgenommen hatte, widerfahren war. »Er hat mich gut behandelt, mein Herr. Hat mir zu essen gegeben. Hat mich nie geschlagen, außer ich hatte es verdient. Und jetzt ist er tot ...« Becks Schultern bebten. »Aber ich glaube nicht, dass Eure Schwester — verzeiht, Herr, ich sollte sagen, Prinzessin Briony ... ich glaube nicht, dass sie mir Böses wollte. Sie war ärgerlich, aber ich glaube, nicht auf mich ...«
»Genug, Mann. Lasst gut sein.« Barrick reichte es.
Beck versank in Schweigen. In den Mantel gehüllt, der Qu'arus auf seiner letzten Bootsfahrt als Polster gedient hatte, ergriff Barrick die Riemen wieder und ruderte gerade so viel, wie nötig war, um das Boot in der Mitte des ruhigen, fast stehenden Kanalarms zu halten, während sie auf die Rückkehr des Raben warteten. Der Kanal war schmal, und zu beiden Seiten erhoben sich Häuser, kaum unterscheidbar von dem rauhen Fels, aus dem sie herausgehauen waren, als Wohnstätten nur durch das eine oder andere winzige Fenster und die mächtigen, torartigen Türen über der Wasserlinie zu erkennen.
Türen,
dachte er.
Mehr Türen in dieser Stadt, als
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