Die Daemmerung
— wir haben sie dort herausgelockt und dann verraten und niedergemetzelt? Seht Ihr denn nicht, wie absurd das ist, Utta? Also wirklich, ich verzweifle noch an Euch. Mein Gemahl hat mir von solch verrückten Verdrehungen erzählt, als er von den Kämpfen in Settland zurückkam — wenn man lange genug in Gefangenschaft ist, beginnt man seinen Peinigern zu glauben.«
Utta öffnete den Mund, machte ihn dann wieder zu.
Sei nachsichtig,
sagte sie sich.
Sie hat Angst. Und du selbst hast auch Angst.
Denn wenn das, was Kayyin ihnen erzählt hatte, Lüge war, dann waren die Qar vollkommen wahnsinnig. Aber wenn es stimmte ...
Dann haben sie allen Grund, uns
zu
hassen,
dachte Utta.
Allen Grund, uns vernichten
zu
wollen.
Auf dem Rückweg in ihre Gemächer fühlte Briony, wie das Brodeln der Wut in ihr nachließ, als hätte jemand den Deckel von einem kochenden Topf genommen. Für Ärger hatte sie keine Zeit, ihr Leben stand auf dem Spiel. Jeden Moment konnten sie sie in eine Zelle stecken oder auf irgendein Landschloss bringen, um sie dort gefangen zu halten. Vielleicht würde Ananka den vernarrten alten König, wenn sie ihn lange genug bearbeiten könnte, sogar dazu bringen, diesen Blödsinn mit der Hexerei zu glauben. Brionys Wort — das Wort einer Königstochter! — hatte für Enander nichts bedeutet. Er hatte einfach nur dagesessen wie der Riesendummkopf, der er war, und sich von seiner Hure manipulieren lassen ...
Ruhig nachdenken,
ermahnte sie sich.
Was hatte Shaso immer gesagt? Selbst um sich
zu
verteidigen, muss man angreifen. Man darf nicht einfach nur auf das reagieren, was einem vorgegeben wird. Ein Krieger muss immer handeln, und wenn es auch nur darin besteht, den nächsten Zug zu planen.
Was also war der nächste Zug? Was hatte sie zur Verfügung? Dawet war in eigenen Angelegenheiten unterwegs. Das Geld, das ihr Eneas gegeben hatte, war größtenteils ausgegeben. Nun ja, Zoria würde für sie sorgen, sagte sie sich ... aber sie musste der Göttin schon eine reelle Chance geben. Briony war mit keinem anderen Besitz als ihrer Freiheit in diese Stadt gekommen. Sie würde sie gern genauso wieder verlassen.
An den Mienen ihrer Fräulein war abzulesen, dass sie es schon gehört hatten. Nicht weiter erstaunlich: Im Weithallpalast machte Klatsch schnell die Runde. Trotzdem war es schmerzlich, die Mädchen rätseln zu sehen, wie sie sich jetzt ihr gegenüber verhalten sollten. Hatten sie die ganze Zeit von Feivals verräterischen Aktivitäten gewusst? Und wie viele von ihnen spionierten ebenfalls für Ananka?
Von all ihren Fräulein war Agnes, die große, dünne Tochter eines Landadligen, die Einzige, die bei Brionys Eintreten herbeieilte. Das Mädchen betrachtete sie aufmerksam. »Seid Ihr wohlauf?« Es klang aufrichtig gemeint. »Kann ich etwas für Euch tun, Prinzessin?«
Briony sah zu den anderen jungen Frauen hinüber, die sich abwandten und mit irgendwelchen ziellosen Tätigkeiten beschäftigten. »Ja, Agnes, du kannst mitkommen und mit mir reden, während ich mich umziehe. Ich stecke schon den ganzen Tag in diesen Kleidern.«
»Gern, Prinzessin.«
Im Rückzugszimmer löste Briony rasch die Bänder der Sachen, die sie anhatte. Während Agnes ihr aus dem Kleid und in ein schweres Nachtgewand half, musterte Briony das Mädchen. Agnes war ein wenig jünger als sie, aber etwa genauso groß, und wenn sie auch dünner war, hatte sie doch wie Briony blondes Haar — was viel ausmachen würde.
»Wie viel weißt du über das, was mir heute Nachmittag widerfahren ist?«, fragte Briony.
Agnes wurde rot. »Mehr, als mir lieb ist, Prinzessin. Ich habe gehört, dass Euer Sekretär Feival zum König gegangen ist und ihm Lügen über Euch erzählt hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn sie mich gefragt hätten, ich hätte ihnen die Wahrheit gesagt — dass Ihr Euch nichts habt zuschulden kommen lassen, dass Ihr Euch Prinz Eneas gegenüber immer untadelig verhalten habt.« Sie sah erschrocken drein. »Wollt Ihr, dass ich es ihnen sage, Prinzessin? Ich tue es, wenn Ihr es wünscht, aber ich fürchte für meine Familie ...«
»Nein, Agnes. Das würde ich weder von dir noch von den anderen Mädchen verlangen.«
»Die anderen Mädchen sind feige, Prinzessin Briony. Ich fürchte, die würden sowieso nicht die Wahrheit sagen. Sie haben Angst vor Ananka.« Sie lachte bitter. »Ich habe auch Angst vor Ananka. Manche Leute sagen, dass sie eine Hexe ist — dass sie den König mit einem Zauber betört hat.«
Briony sah
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