Die Daemmerung
die Nägel schnitt — Kettelsmit hielt ihn für einen Verwandten des Grafen aus Landsend. »Bring mir Wein, Junge.« Er wandte sich wieder Kettelsmit zu. »Sehr gut. Hier habt Ihr ein paar Kupfermünzen für die Information, Verseschmied. Jetzt seht zu, dass Ihr Okros wiederfindet — um diese Zeit dürfte er im Kräutergarten sein, zumal wenn so viele Verwundete einer Arznei bedürfen. Folgt ihm, wohin er auch geht, aber verratet Euch nicht.«
Matty Kettelsmit konnte ihn nur mit offenem Mund anstarren. »Was?«, sagte er schließlich, kaum fähig, das Wort herauszubringen. »Was?«
»Glotzt nicht so, knickbeiniger Schwachkopf!«, knurrte Brone. »Ihr habt mich wohl verstanden. Folgt ihm! Findet heraus, was er vorhat! Stellt fest, ob er Euch zu dem Spiegel führt?«
»Seid Ihr verrückt? Er ist ein Hexenmeister? Er wird jemanden mit einem Zauberfluch belegen oder ... oder Dämonen heraufbeschwören? Wenn Ihr unbedingt wollt, dass er beschattet wird, dann tut es doch selbst oder schickt diesen pickligen Burschen.«
Brone beugte sich so weit über seinen Schoßschreibtisch, dass sein bewamster Bauch beinah das Tintenfass umstieß. »Habt Ihr vergessen, dass ich Euch an Euren winzigen Poeteneiern gepackt halte? Und dass ich sie Euch jederzeit abschneiden lassen kann?«
Kettelsmit tat sein Bestes, keine Furcht zu zeigen. »Das ist mir gleich. Was wollt Ihr denn tun, mich bei Hendon Tolly denunzieren? Ich werde ihm einfach sagen, dass Ihr ihn bespitzeln lasst. Dann landen Eure Eier neben meinen auf dem Preziosentisch, Graf Brone. Wir werden beide sterben — aber ich werde wenigstens noch im Besitz meiner Seele sein. Ich werde nicht an Dämonen fallen!«
Brone starrte ihn eine ganze Weile an, und seine Mundpartie unter dem nunmehr fast grauen Bart arbeitete. Schließlich erschien so etwas wie ein Lächeln in den Tiefen des Haardickichts. »Ihr habt also doch noch irgendwo ein wenig Courage gefunden, Kettelsmit. Das ist gut, würde ich meinen — kein Mann sollte sein Leben lang ein kompletter Feigling bleiben, nicht mal ein Tunichtgut wie Ihr. Tja, was machen wir jetzt?« Urplötzlich schnellte Brones Arm vor und packte den Dichter so am Mantelkragen, dass es ihm die Luft abzuschnüren drohte. »Wenn ich Euch nicht Tolly überlassen kann, bleibt mir wohl nichts anderes, als Euch eigenhändig zu erdrosseln.« Das Lächeln war jetzt einer weit bedrohlicheren Grimasse gewichen.
»Nnnn! Nnch!« Der Druck auf Kettelsmits Kehle war schmerzhaft. Der Verwandte aus Landsend kam jetzt mit dem Wein zurück, blieb in der Tür stehen und beobachtete das Schauspiel mit Interesse.
»Wenn Ihr mir nicht von Nutzen seid, Dichterling — ja, schlimmer noch, mir zur Gefahr werdet —, bleibt mir keine große Wahl ...«
»Aah ch nnn knn Gffffr!«
»Das möchte ich ja gern glauben, Junge. Aber selbst wenn Ihr keine Gefahr seid, seid Ihr mir doch auch keine Hilfe, und in so schweren Zeiten — so gefährlichen Zeiten — wie diesen kann Euch niemand gebrauchen. Falls Ihr mir allerdings
doch
eine Hilfe wärt, indem Ihr tätet, was ich Euch sage, tja, dann würden die Krabben und Seesterne weiterfließen — ein wenig Geld zu haben, könnte Euch doch wohl nur recht sein, zumal in diesen Tagen, da alles so teuer und Essen so knapp ist? —, und ich bräuchte Euch nicht den Kopf abzureißen.«
»Chh hlff Hch! Chh hlff Hch!«
»Gut.« Brone ließ seinen Kragen los, und Kettelsmit fiel rückwärts. Der Jüngling aus Landsend trat höflich beiseite, um ihm Gelegenheit zu geben, auf dem Boden zu landen, wo er nach Luft ringend liegenblieb.
»Aber warum
ich?«,
fragte er, als er sich endlich wieder hochgerappelt hatte und sich den schmerzenden Hals rieb. »Ich bin Poet!«
»Und kein besonders guter obendrein«, sagte Brone. »Aber was bleibt mir anderes? Selbst im Palast umherzuhumpeln? Meinen Dummkopf von Neffen zu schicken?« Er deutete auf den Jüngling, der wieder seine dreckigen Fingernägel bearbeitete, jetzt jedoch das Messer in einer Art Salut zu Kettelsmit hin erhob. »Nein, ich brauche jemanden, von dem man es gewohnt ist, ja geradezu erwartet, dass er sich im Palast bewegt — jemanden, der zu töricht ist, um gefürchtet, und zu nichtsnutzig, um verdächtig zu sein. Dieser Jemand seid Ihr.«
Matty Kettelsmit rieb sich den schmerzenden Hals. »Ihr tut mir zu viel der Ehre, Graf Avin.«
»Na bitte — ein wenig Mumm. Das ist gut. Jetzt geht und findet heraus, was im Gange ist, und es könnte noch mehr für Euch herausspringen
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