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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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— vielleicht sogar ein Krug Wein aus meinem eigenen Vorrat, hm? Wie wäre das?«
    Die Aussicht, sich für ein, zwei Tage besinnungslos trinken zu können, war der erste echte Anreiz, Brone weiter zu Diensten zu sein, obwohl nicht zu sterben auch etwas für sich hatte. Er verbeugte sich vorsichtig, weil er Angst hatte, der Kopf könnte ihm abfallen.

    »Wisst Ihr, was ich glaube, Mutter?«, sagte Kayyin, als wäre dem nur eine kurze Gesprächspause vorausgegangen, nicht mindestens eine Stunde Schweigen.
    Yasammez sah ihn nicht an und sagte auch nichts.
    »Ich glaube, Ihr beginnt, etwas für die Sonnländer zu empfinden.«
    »Was, wenn nicht der Wunsch, Euren Tod zu beschleunigen«, sagte sie, noch immer ohne aufzublicken, »würde Euch etwas derart Absurdes sagen lassen?«
    »Die Tatsache, dass ich es für wahr halte.«
    »Habt Ihr noch irgendeinen anderen Daseinszweck, als mich zu ärgern? Helft mir auf die Sprünge — warum habe ich Euch noch nicht töten lassen?«
    »Vielleicht, weil Ihr ja doch noch gemerkt habt, dass Ihr Euren Sohn liebt.« Er lächelte, amüsiert über diesen Eigendünkel. »Dass Ihr ebenso niedere und sentimentale Regungen habt wie die Sonnländer selbst. Vielleicht habt Ihr ja nach all den Jahrhunderten der Vernachlässigung und offenen Verachtung in Euch den Wunsch entdeckt, etwas wiedergutzumachen. Könnte das sein, Mutter?«
    »Nein.«
    »Ach, also doch nicht. Ich habe es geahnt. Aber es war ein unterhaltsamer Gedanke.« Er war auf und ab gegangen, blieb jetzt aber stehen. »Wisst Ihr, was wirklich seltsam ist? Nachdem ich so lange Zeit in der Verkleidung eines Sterblichen gesteckt, ja das Leben eines solchen gelebt habe, stelle ich fest, dass ich in manchem einer geworden bin. So bin ich beispielsweise auf eine Art ruhelos, wie es keiner der Unseren je war. Wenn ich zu lange an einem Ort bleibe, ist es, als fühlte ich mich den echten Tod sterben. Ich werde ungeduldig, unzufrieden — als ob der Körper meinem Geist gebietet statt umgekehrt ...«
    »Vielleicht erklärt das Eure albernen Ideen«, sagte Yasammez. »Nicht Ihr bringt diesen Unsinn hervor, sondern Eure Sterblichenverkleidung. Interessant, aber ich hätte doch lieber Stille um mich.«
    Er sah sie an. Sie sah immer noch weg. »Warum habt Ihr den Rückzug aus der Sonnländerburg befohlen, Herrin? Sie war so gut wie Euer, und auch den minimalen Widerstand in den Höhlen darunter habt Ihr so gut wie besiegt. Warum der Rückzug in einem solchen Moment? Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht anfangt, Mitleid mit den Sterblichen zu bekommen?«
    Erstmals verriet sich jetzt etwas in ihrer Stimme — ein Entweichen in noch eisigere Kälte. »Redet kein dummes Zeug. Es beleidigt mich, dass ein Kind meiner Lenden Atemluft auf etwas Derartiges vergeudet.«
    »Dann tun sie Euch also gar nicht leid. Sie bedeuten Euch weniger als der Straßendreck unter Euren Füßen.« Er nickte. »Warum hättet Ihr dann gewollt, dass ich ihnen die Geschichte von Ayann und seiner Schwester erzähle? Welchen Sinn sollte das haben, wenn nicht den, sie etwas von unserem Schmerz fühlen zu lassen ... von
Eurem
Schmerz, genauer gesagt?«
    »Ihr bewegt Euch auf gefährlichem Terrain, Kayyin.«
    »Wenn ich ein Bauer wäre, der geschworen hat, die Ratten zu vernichten, die seine Feldfrüchte gefressen haben, würde ich dann vor der Vollstreckung des Urteils die Ratten beiseitenehmen und ihnen erklären, was sie getan haben?«
    »Ratten haben keine Einsicht in ihre Untaten.« Jetzt endlich richtete sie die dunklen Augen auf ihn. »Noch ein Wort über die Sonnländer, und ich reiße Euch das schlagende Herz aus der Brust.«
    Er verneigte sich. »Wie Ihr wünscht, Herrin. Ich werde stattdessen am Strand spazieren und über unser erhellendes Gespräch nachdenken.« Er erhob sich und ging zur Tür. Yasammez konnte nicht umhin zu bemerken, dass ihm das Sterbliche, das jetzt an ihm war oder zu sein schien, seine Anmut nicht ganz genommen hatte. Er bewegte sich immer noch mit der unverschämten Geschmeidigkeit seiner jüngeren Tage. Sie schloss die Augen wieder.
    Gleich nachdem er hinausgegangen war, fühlte sie eine andere Präsenz — Aesi'uah, ihre oberste Eremitin. Aesi'uah würde stundenlang schweigend warten, bis sie sie zur Kenntnis nahm, aber es war sinnlos, sie warten zu lassen: Der flüchtige Gedanke, den Fürstin Stachelschwein durch das Labyrinth ihres weit zurückreichenden Gedächtnisses verfolgt hatte, war verschwunden.
    »Ist es so weit?«, fragte Yasammez.
    Das

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