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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Hauptmann Vansen nicht den Verstand verloren hat«, sagte Bruder Nickel, »dass er mehr zu erreichen vermag, als nur umgebracht zu werden. Sonst können wir vielleicht noch einen Angriff oder zwei zurückschlagen, aber früher oder später werden wir unterliegen, und dann sind die Mysterien in ihrer Hand.«
    »Nicht nur die Mysterien«, sagte Malachit Kupfer. »Wenn wir unterliegen, wird Funderlingsstadt fallen, und dann ist auch die oberirdische Burg in ihrer Hand.«

    »Was haben wir vor, Vater?«
    Es kam ihm immer noch seltsam vor, wenn ihn der Junge so nannte, fast als spielte das Kind den Part eines gehorsamen Sohns in einem der Mysterienspiele. »Ich habe Angst um Chaven und will ihn suchen«, erklärte Chert. »Aber ich mache nicht noch mal den Fehler, dich hier allein zu lassen. Bei den Alten, ich vermisse deine Mutter!«
    Flint sah ihn ruhig an. »Ich auch.«
    »Vielleicht sollte ich dich zu ihr nach Funderlingsstadt schicken. Dann könntest du keinen Unsinn mehr machen — jedenfalls nicht hier im Tempel.«
    »Nein?« Zum ersten Mal schien der Junge erregt. »Schick mich nicht weg, Vater? Ich habe hier Sachen zu tun? Ich muss hier sein?«
    »Was ist das für ein Unsinn, Junge? Was könntest du tun müssen?« Flints Entschiedenheit machte Chert unsicher. »Du wirst nicht mehr in der Bibliothek herumstöbern, hast du verstanden? Und keine spontanen Ausflüge mehr in die Mysterien machen. Die Brüder haben dir auch so schon kaum verziehen — und mir ebenso wenig.«
    »Ich muss aber im Tempel bleiben«, sagte der Junge stur. »Ich weiß nicht warum, aber ich muss.«
    »Na ja, darüber können wir später noch reden«, sagte Chert. »Jetzt kannst du erst mal mit mir kommen. Aber du bleibst an meiner Seite, hast du verstanden?«
    In Wahrheit war er ganz froh, den Jungen bei sich zu haben. Chert machte sich immer größere Sorgen um den Arzt, war sich immer sicherer, dass Chaven nicht einfach nur irgendwohin spaziert war. Entweder hatten ihn die Qar gefangen genommen, was ein schrecklicher Gedanke war, oder aber er war wieder in den Klauen seiner Spiegelbesessenheit, was noch schlimmere Folgen haben konnte. Chert hatte ja nicht vor, an irgendwelchen besonders gefährlichen Orten zu suchen, wenn man sich auch nach dem ganzen Wahnsinn des letzten Jahrs nirgendwo unterhalb des Niveaus von Funderlingsstadt mehr ganz sicher fühlen würde. Aber wenn nicht seit der letzten Qar-Attacke mehrere ereignislose Tage verstrichen wären, hätte er den Jungen auf gar keinen Fall mitgenommen. Doch selbst unter diesen Voraussetzungen hatte er einen Steinpickel und eine Handaxt in seinen Gürtel gesteckt und mehr als die übliche Menge Lampenkoralle eingepackt.
    Alte der Erde, bewahrt uns,
dachte er.
Den Jungen vor allem Harm, und mich vor Opalia, falls ihm etwas passieren sollte.
    Er vermisste seine Frau wirklich. Nie, seit seiner Lehrzeit bei dem alten Ferrum Quarz, als ihn die Arbeit bis nach Settland geführt hatte, war er so lange von ihr getrennt gewesen. Er vermisste sie nicht auf dieselbe Art wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als sich das Getrenntsein wie ein körperlicher Schmerz angefühlt hatte, als er nicht in ihrer Nähe hatte sein können, ohne sie zu berühren, sie zu liebkosen und zu küssen, und es eine Qual gewesen war, das nicht zu können. Jetzt vermisste er sie eher so, wie er einen Teil seiner selbst vermisst hätte, wenn er ihm genommen worden wäre. Er war unvollständig.
    Ach, altes Mädchen, ich sehne mich so nach dir! Ich muss es dir sagen, sobald ich dich sehe, statt dummes Zeug
zu
reden. Ich kann es nicht erwarten, dich endlich wieder
zu
drücken. Und ich will deine Stimme hören, selbst wenn du mich einen alten Narren nennst. Ich möchte lieber von dir verspottet werden, als von der Zunft gelobt.
    »Sie ist eine feine Frau, deine Mutter«, sagte er laut.
    Flint legte den Kopf schief. »Sie ist nicht meine richtige Mutter. Aber sie ist eine feine Frau.«
    »Kannst du dich an deine richtige Mutter erinnern?«, fragte Chert.
    Flint ging wortlos weiter, doch so viel hatte Chert inzwischen gelernt: Der Junge hatte verschiedene Arten zu schweigen. Diese Art Schweigen hieß, dass er nachdachte.
    »Meine Mutter ist tot«, sagte er schließlich, und seine Stimme verriet so wenig wie ein unbeschriebenes Schiefertäfelchen. »Sie ist gestorben, als sie mich retten wollte.«
    Aber trotz dieser überraschenden Aussage war sonst nichts aus ihm herauszubekommen — an mehr konnte er sich nicht erinnern. Nach einer

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