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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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nahm er noch etwas anderes wahr — einen Hauch von Meer, was Luft sein musste, die von der Oberfläche herabkam —, doch am deutlichsten war der Geruch, den er mit dem Quecksilbersee verband. Er würde Zinnober fragen müssen, was das sein konnte.
    »Komm«, sagte er zu dem Jungen. »Auf jetzt, wir gehen zurück zum Tempel.«
    Flint tat sein Bestes, war jedoch so schwach, dass er kaum stehen konnte. Er war zu groß, als dass Chert ihn Huckepack nehmen konnte, aber wenn er ihn stützte, konnten sie langsam, aber stetig vorankommen. Das Abendessen würden sie allerdings verpassen. In jeder anderen Situation hätte das Chert ziemlich verbittert, doch die Angst, die ihm der Junge eingejagt hatte, und der merkwürdige Geruch des Meers der Tiefe hatten ihm den Appetit sowieso weitgehend genommen.
    Es lenkte seine Gedanken wieder auf die ganze Seltsamkeit dieser kleinen Welt unter dem befestigten Südmarksburg — einer Welt, die nicht nur weitläufiger und komplexer war, als es sich die Großwüchsigen über der Erde je hätten träumen lassen, sondern auch weitläufiger und komplexer, als Chert und die übrigen Funderlinge wussten. Wenn das Meer der Tiefe zur Oberfläche hin entlüftet wurde, wie es offensichtlich der Fall war, dann musste die Abzugsöffnung irgendwo innerhalb der Burgmauern sein. Daran war eigentlich nichts Erstaunliches — der Kalkstein des Midlanfels war voller Löcher, und es gab viele Gesteinsspalten, die Luft durch Funderlingsstadt und die Tiefen zirkulieren ließen, sonst hätten hier gar nicht so viele Leute leben können —, aber aus irgendwelchen, ihm selbst unbekannten Gründen beschäftigte und beunruhigte ihn das Wissen, dass zwischen dem Leuchtenden Mann und der Oberfläche nur Luft war, jetzt wie ein steter Schmerz.

    Die Fünf Bögen passiert zu haben, schien Flints Kräfte zu regenerieren: Auf dem unteren Teil der Kaskadentreppe konnte er bereits wieder ohne Hilfe gehen, wenn er auch immer noch kurzatmig war und oft stehenbleiben musste, um sich auszuruhen.
    »Tut mir leid, Vater«, sagte er während einer solchen Pause. »Ich ... ich dachte, ich würde sterben. Aber es hat sich auch angefühlt, als ob mich jemand, den ich gern habe, verlässt — als ob du weggehen würdest oder Mama Opalia.«
    »Mach dir nichts draus, Junge. Wenn du ein bisschen Suppe im Magen hast, geht es dir gleich wieder besser. Zu schämen brauchst du dich jedenfalls nicht — das sind sonderbare Gänge dort unten, das weiß jeder.«
    Als sie sich durch die Zeremonialpilzgärten dem Tempel näherten, sahen sie an einer Kreuzung zweier Wege eine große Gestalt stehen und auf ein feines Geflecht aus weißen Pilzfäden herabschauen, das man dazu gebracht hatte, einen Unterbau in Form der Heiligen Hacke zu überwachsen. Im Näherkommen glaubte Chert die Gestalt zu erkennen.
    »Chaven? Seid Ihr das? Chaven!« Er eilte hin. »Den Alten sei Dank, Ihr seid wieder da!«
    Der Arzt wandte sich um; seine Miene war mild und heiter. »Ja, bin ich«, sagte er, aber im Ton von jemandem, der nur einen kleinen Spaziergang gemacht hat.
    »Wo wart Ihr?«
    Chaven blickte an ihm vorbei dorthin, wo Flint mitten auf dem Weg stehengeblieben war. Der Junge schien es nicht eilig zu haben, näher zu kommen. »Hallo, junger Mann. Hmm, wo war ich?« Er nickte, als ob das eine sehr gescheite Frage wäre, die reifliches Nachdenken erforderte. »In den Gängen hinter den Fünf Bögen. Ja.«
    »Da kommen wir gerade her. Wie können wir uns verpasst haben? Seid Ihr schon lange wieder hier?«
    Noch immer die milde, überraschte Miene. »Ich war ... ach, so genau kann ich mich nicht erinnern. Ich war beschäftigt ... mit ... ein paar Ideen ... die mir gekommen sind.« Er runzelte leicht die Stirn wie jemand, dem plötzlich eingefallen ist, dass er noch etwas erledigen muss. »Ja, ich musste nachdenken, da bin ich einfach ... umhergewandert.«
    Chert war entschlossen, eine bessere Antwort als diese aus ihm herauszuquetschen, doch plötzlich erschien am oberen Ende des Wegs ein Mönch, der sichtlich aufgeregt mit beiden Armen fuchtelte.
    »Blauquarz, seid Ihr das? Kommt schnell! Wir haben eine Invasion.«
    »Invasion?« Furcht packte Chert. Würde es denn nie ein bisschen Ruhe und Frieden geben? Hieß das, Vansen war gescheitert?
    »Ja«, sagte der Mönch. »Es ist furchtbar. Überall sind Frauen?«
    »Was? Frauen? Wovon sprecht Ihr?«
    »Frauen aus Funderlingsstadt, die Frau des Magisters und alle möglichen anderen, sie sind gerade gekommen.

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