Die Daemmerung
zu erzählen, und weil ich der Autarch bin.« Sein Gesichtsausdruck wandelte sich zu einem Lächeln. »Nein, ich werde es einfacher machen. Wenn Ihr nicht freiwillig zuhört, werde ich einen unserer kleinen Gefangenen herbringen lassen und vor Euren Augen erwürgen, Olin von Südmark. Was sagt Ihr dazu?«
»Fluch über Euch. Ich werde Euch zuhören.« Die Stimme des Nordländerkönigs war so leise, dass Vash ihn bei den Geräuschen des Meeres kaum noch hörte.
»Oh, Ihr werdet mehr tun als nur das, Olin Eddon«, sagte der Autarch.
»Ihr
habt nämlich solches Blut in Euch — das Blut, das die Macht eines Gottes verleiht. Für Euch ist es wertlos, ein Fluch, aber mir bedeutet es alles. Und in wenigen Tagen schon, beim letzten Mittsommerläuten, werde ich es mir nehmen.«
Die letzten Stunden Dunkelheit, ehe die Stadttore von Tessis aufgingen, waren schrecklich. Briony saß im Karren der Truppe am Boden und versuchte zu schlafen, doch trotz ihrer unendlichen Erschöpfung wollte der Schlaf nicht kommen. Feivals Verrat, Baronin Anankas Grausamkeit, König Enanders ungerechte und törichte Haltung ihr gegenüber gingen ihr nicht aus dem Sinn. Die Stimmen dieser Feinde summten in ihrem Kopf wie Schmeißfliegen.
Und jetzt bin ich wieder auf der Flucht,
dachte sie.
Und was habe ich in dieser ganzen Zeit hier erreicht? Nichts — nein, weniger als nichts. Eine weitere Stadt ist mir versperrt, und ich habe keine Hoffnung mehr, Südmark irgendwelche Hilfe aus Syan
zu
bringen.
Finn Teodorus kam leise in den Wagen. »Verzeihung«, sagte er, als er sah, dass sie wach war, »ich suche nur meine Schreibfedern. Hat Euch Zakkas gebissen, Prinzessin? Ihr seht aus, als trügt Ihr Euch mit schweren Gedanken.«
Sie quittierte die leicht dahingesagte Blasphemie mit einem Stirnrunzeln. Das Orakel war der Schutzpatron sowohl der Prophetie als auch des Wahnsinns, und Anfälle des einen wie des anderen wurden manchmal »Zakkasbisse« genannt. »Ich bin unruhig und kann nicht schlafen. Ich habe alles ruiniert.«
Der Stückeschreiber setzte sich neben sie. »Ach, wie oft habe ich das von mir gesagt?« Er lachte. »Nicht so oft, wie ich es hätte sagen sollen, nehme ich an — ich sehe meistens erst sehr viel später, was ich falsch gemacht habe. Es ist gut, dass Ihr es gleich seht, aber lasst Euch davon nicht niederdrücken.«
»Ich wollte, ich könnte schlafen, aber ich kann die Augen nicht zu lassen. Wenn sie nun schon am Tor auf uns warten?«
»Auf uns? Unwahrscheinlich. Auf Euch ... vielleicht. Deshalb werdet Ihr auch im Wagen bleiben.«
»Aber vielleicht erinnert sich jemand an euch. Dieser Lord Jino ist ein gewiefter Mensch. Er hat gesagt, was mir widerfahren ist, tue ihm leid, aber das wird ihn nicht davon abhaken, seine Arbeit zu tun. Er hat den Namen der Truppe bestimmt vermerkt.«
»Dann nennen wir uns eben irgendwie anders«, sagte Finn. »Jetzt versucht zu schlafen, Prinzessin.«
Er ging hinaus, wobei von seinem Gewicht auf den kleinen Trittstufen der ganze Wagen wippte und schwankte, und ließ sie mit den Stimmen ihres vielfachen Versagens allein.
Als sie schließlich auf das Tor zurollten, hatten Makswells Mimen nicht mehr viel von einer fahrenden Theatertruppe. Die Masken und bunten Bänder und sonstigen Wahrzeichen ihres Berufsstandes waren versteckt, und die Schauspieler selbst trugen unauffällige Reisekleidung. Dennoch hatten sie aus irgendeinem Grund die Aufmerksamkeit eines der Torwächter erregt, und Briony wurde nervös. Hatte sich doch jemand im Palast an die Truppe erinnert?
»Was habt Ihr gesagt, wo Ihr hinwollt?«, fragte der Mann Finn zum dritten oder vierten Mal. »Nie gehört.«
»Zum Brunnen des Orakels Finnya in Brenland«, erklärte Finn, so ruhig er konnte.
»Und das sind alles Pilger?«
»Bei den Dreien?« Pedder Makswell hatte schon im Normalfall wenig Geduld. »Das ist empörend ...«
»Haltet den Mund, Pedder«, ermahnte ihn Teodorus.
»Ihr kennt Finnyas Brunnen nicht?« Nevin Kennit stellte sich vor Makswell. »Ah, das ist ein Jammer, wirklich.« Kennit war im Schreiben besser als auf der Bühne, aber er fügte sich nahtlos in die Szene ein und begann zu improvisieren. »Jungfer Finnya war eine Müllerstochter, müsst Ihr wissen, ein züchtiges, reines Mägdelein. Ihr Vater war ein Ungläubiger — das war noch in den Zeiten, da Brenland und Connord vorwiegend heidnisch waren und man dort die Drei Göttlichen Brüder noch nicht über die anderen Götter stellte.« Kennit setzte die
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