Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
König.«
    Sie gingen weiter durch die leeren Flure und Hallen. Barrick hatte Mühe, mit dem leicht wirkenden und doch so schnellen Schritt seines Führers mitzuhalten, war aber entschlossen, sich nicht zu beschweren.
    Es war wohl die seltsamste Stunde seines Lebens, sollte er sich später sagen — dieses erste Mal in Qul-na-Qar, das letzte Mal, dass er es mit seinem alten Blick sah, seiner alten Art wahrzunehmen und zu denken. Die Formen dieser Räume waren anders als alles, was er je erlebt hatte: Das Gebäude besaß eindeutig eine Ordnung und eine Logik, aber es war eine Art von Logik, die ihm noch nie begegnet war, mit Wänden, die sich abrupt einwärts krümmten oder ohne ersichtlichen Grund auf der Hälfte des Raums endeten, und mit Treppen, die zur Decke hinauf- und dann am anderen Ende des Saals wieder herabführten, als wären sie einzig für den Fall erbaut worden, dass jemand hoch über dem Boden laufen wollte. Manche Türen führten augenscheinlich ins Nichts oder in flackerndes Licht, andere standen isoliert da, ohne Wände rechts und links, einsame Portale mitten im Raum. Selbst die Baumaterialien erschienen Barrick bizarr: Vielerorts war schwerer, dunkler Stein mit lebendem Holz kombiniert, das mit Wurzeln und Ästen und allem innerhalb der Wandsubstanz zu wachsen schien. Außerdem hatten die Erbauer scheinbar beliebige Wandpartien durch farbige Streifen eines edelsteinartig leuchtenden Materials ersetzt, das so klar war wie Glas, aber so dick wie Granitplatten, Sichtfenster, durch die er jedoch nicht mehr erkennen konnte als verschwommene Formen und Schatten. Und alles schien völlig verlassen.
    »Warum ist hier niemand?«, fragte er Harsar.
    »Dieser Teil vom Haus des Volkes gehört dem König und der Königin«, antwortete der Diener und fixierte seine davonstreunenden kleinen Begleiter mit strengem Blick, bis sie zu ihm zurücktrotteten. »Der König hat nur wenige Bedienstete, und die Königin ist ... woanders.«
    »Woanders?«
    Harsar setzte sich wieder in Bewegung. »Kommt. Wir haben noch weit zu gehen.«
    Die Flure und die Hallen, die sie durchquerten, um von einem Gang in einen anderen zu gelangen, waren möbliert, manche für seine Augen ziemlich normal, andere rätselhaft, aber Barrick erkannte eine Gemeinsamkeit aller Möbelstücke, vom simpelsten bis zum raffiniertesten, eine einende Vision hinter allem, die ihm gar nicht entgehen konnte, weil sie so anders war als alles, was er kannte, so als ob Katzen sich Kleider genäht oder Schlangen einen komplizierten Tanz choreographiert hätten. Stühle, Tische, Truhen, Reliquienschreine — ganz gleich, wie schlicht oder kunstvoll die Stücke waren, sie besaßen alle eine Ähnlichkeit, die er nicht recht zu fassen bekam, eine irritierende gemeinsame Raffinesse. Von weitem wirkten die Teppiche auf den dunkelglänzenden Böden und die Wandbehänge ganz gewohnt, doch wenn er genauer hinsah, machten ihn ihre dichten, komplizierten Muster schwindelig und weckten unangenehme Erinnerungen an den lebenden Rasen, der Krummlingshall geschützt hatte. Und obwohl manche Räume hohe Fenster zum zwielichtgrauen Himmel hatten und andere fensterlos waren, obwohl in manchen tausend Kerzen brannten und in anderen gar keine Kerze oder Lampe, war das Licht doch überall ziemlich gleich — dieses gedämpfte, wässrige, unstete Glimmen. Durch Qul-na-Qar zu gehen war ein bisschen wie Schwimmen, dachte Barrick.
    Nein, befand er gleich darauf, es war eher wie Träumen. Wie mit weit offenen Augen zu träumen.
    Doch von dem ganzen Ansturm an Seltsamem, der über ihn hereinbrach, als er das erste Mal durch das Haus des Volkes ging, war das Allerseltsamste das Gefühl, dass er, Barrick Eddon, nach einem Leben im Exil endlich nach Hause gekommen war.
    Als er gerade vor Erschöpfung über seine eigenen Füße zu stolpern begann, führte ihn Harsar in einen kleinen, dunklen Raum, der menschlichere Maße hatte als das meiste hier, eine Art Rückzugszimmer mit schlicht und elegant, aber dennoch unleugbar fremdartig geformten Stühlen aus poliertem Holz. Die Wände hatten lauter Nischen, wie eine Bienenwabe. In jedem dieser kleinen Fächer stand etwas, das wie eine aus glänzendem Stein gemeißelte oder aus Metall gegossene Statue wirkte, aber keine hatte eine Form, die Barrick etwas sagte; er fand, sie sahen aus wie Zufallsprodukte, wie bei der Herstellung sinnvollerer Objekte entstandene Abfalle, die man liebevoll vom Boden der Werkstatt aufgesammelt und hier zur Schau

Weitere Kostenlose Bücher