Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Mann, der immer überlegte, ehe er sprach, und immer sprach, ehe er handelte. Darin hatte Olin Eddon große Ähnlichkeit mit ihm. Auch er sagte nie etwas Übereiltes, und auch er schien Dinge zu hören und zu sehen, die allen anderen entgingen. Wenn es einen Unterschied gab, dann war es der äußere Eindruck: Pinnimon Vashs Vater hatte immer so gewirkt, als thronte er heiter-gelassen über dem ganzen Wirbel des geschäftigen und intriganten xixischen Hofes, wie die Statue eines Gottes in einem Tempelgarten. König Olin hingegen schien von einem großen, heimlichen Kummer niedergedrückt, sodass alles andere auf der Welt, und sei es noch so herrlich oder schrecklich, dagegen nur trivial erscheinen konnte. Doch trotz dieser Aura von Schwermut war etwas an dem Nordländerkönig, das Pinnimon Vash sehr, sehr unsicher machte. Und als Olin jetzt neben ihm in der felsigen kleinen Bucht stand, wo sie von den Booten abgesetzt worden waren, hatte Vash irgendwie das Gefühl, sich bei dem Gefangenen entschuldigen zu müssen.
    »Es dauert nicht lange«, sagte Vash. »Wir marschieren los, noch ehe die Sonne im Mittagspunkt steht.«
    Olin schien das egal: Er sah Vash nicht einmal an, sondern beobachtete weiter die Marschvorbereitungen der Soldaten, von denen manche Krüge und Kisten aus den Booten herbeitrugen, während andere Wagen zusammenbauten, die in Einzelteilen im Frachtraum verstaut gewesen waren, oder Pferde und Ochsen anspannten. »Möchtet Ihr die Unterhaltung jetzt führen?«, fragte er schließlich, den Blick noch immer überallhin gerichtet, nur nicht auf Vash.
    »Welche Unterhaltung?« War der Mann wirklich zum Äußersten entschlossen oder einfach nur töricht? »Schaut, da kommt der Goldene. Unterhaltet Euch mit ihm, König Olin.«
    Hundert Schritt weiter stieg der Autarch gerade aus seinem vergoldeten Boot auf die Rücken eines Dutzends kauernder Leibsklaven und von dort auf seine Sänfte, die die Sklaven dann anhoben und über den Strand trugen. Das Blattgold funkelte in der Sonne so hell, dass die Sänfte tatsächlich aussah wie der Sonnenwagen selbst.
    Die Kommandeure der Einheiten ließen die Soldaten, die in der Sonne gewartet hatten, jetzt antreten. Bis sie abmarschierten, würde der Materialtross bereit sein, ihnen zu folgen.
    Vash kniete noch, als die Sänfte vor ihm anhielt. »Ah, da seid Ihr ja«, rief der Autarch zu ihm hinab. »Wie soll ich Euch sehen, wenn Ihr da so im Sand kriecht. Steht auf«
    Vash tat schleunigst, wie ihm befohlen, musste aber alles daransetzen, nicht zu stöhnen, als der Schmerz durch seine Gelenke zuckte. Es war Wahnsinn, dass er sich hier in der Wildnis dieses unzivilisierten Landes herumtrieb, nur die Götter wussten, welch schädlichen Kälteunbilden und feuchten Nebeln ausgesetzt. Er sollte zu Hause in Xis sein, das Reich beaufsichtigen und in der Abwesenheit des Autarchen Weisheit und Gerechtigkeit im Namen des Falkenthrons üben, wie es seinem Alter und seinen Dienstjahren entsprach. »Ich lebe nur, Euch zu dienen, o Goldener«, sagte er, als er schließlich stand.
    »Natürlich.« Sulepis, in voller Kampfesrüstung, blickte über die am Strand bereitstehenden Truppen — mehrere tausend Kämpfer und fast die gleiche Anzahl Männer zu deren Versorgung, wobei mindestens noch einmal so viele Soldaten vorerst auf den Schiffen geblieben waren. Vash wusste, die Nordländer vermochten die Macht des Autarchen und die Größe seines Reichs nicht einmal zu ermessen, geschweige denn, dem zu trotzen: Der Goldene konnte leicht ein noch zehnmal größeres Heer aufbieten, wenn er es brauchte, und dennoch Hierosol und seinen Palast in Xis unter sicherer Bewachung zurücklassen.
    Der Autarch wusste das alles natürlich: Er hatte das gutgelaunte Grinsen eines Mannes, der etwas, das ihm am Herzen liegt, endlich Gestalt annehmen sieht. »Und wo ist Olin?«, rief er. »Ah, da. Wir hatten ja vereinbart, dass Ihr mit mir reist, also kommt, setzt Euch zu meinen Füßen. Das hier ist Euer Land — es gibt doch sicher viele landschaftliche Besonderheiten und drollige Bräuche, die Ihr mir erläutern könnt.«
    Olin sah verbittert zu Sulepis empor. »Ja, wir haben hier viele drollige Bräuche. Da wir gerade davon sprechen, dürfte ich zu Fuß gehen? Nach den langen Wochen auf dem Schiff sehne ich mich nach körperlicher Betätigung.«
    »Unbedingt, aber Ihr werdet laut sprechen müssen, damit ich Euch von hier oben hören kann — eine Art Metapher, was? Eine Vorsichtsmaßnahme, um nicht zu weit

Weitere Kostenlose Bücher