Die Daemmerung
— und, wenn uns die Götter weiterhin hassen, womöglich eines Tages auch wie Gift durch die Adern meiner Enkel kriechen wird —, dieser Fluch erstarkt jetzt wieder in mir, mit jeder Stunde, die Ihr mich meiner Heimat entgegenschleift. Götter, es ist wie ein Feuer in mir? Ich mag ja auch Ludis Drakavas Gefangener gewesen sein, aber in Hierosol war ich zumindest davon frei, Fluch über Euch? Ich war es los? Jetzt fühle ich es wieder, fühle es brennen, in meinem Herzen, meinen Gliedmaßen und meinem Geist?«
Es kostete Vash alle Mühe, nicht davonzurennen. Wie konnte jemand so mit dem Lebenden Gott auf Erden sprechen und es lebend überstehen? Doch auch diesmal schien der Autarch kaum gehört zu haben, was Olin gesagt hatte.
»Natürlich fühlt Ihr es«, sagte Sulepis. »Das macht es noch nicht zum Fluch. Euer Blut fühlt den Ruf seiner Bestimmung? Ihr tragt das Blut eines Gottes in Euch, Olin Eddon, aber Ihr habt immer versucht, nichts weiter zu sein als ein gewöhnlicher Mensch. Ich hingegen bin nicht so dumm.«
»Was soll das heißen?«, fragte der Nordländerkönig. »Ihr sagtet doch, dass es in Eurer Familie keinen solchen Fluch gibt, dass Ihr, wie auch schon Eure Vorfahren, nicht anders seid als andere Menschen.«
»Vom Blut her nicht anders, das ist wahr. Aber es gibt etwas, Olin, worin ich
ganz und gar nicht
bin wie andere Menschen. Ich kann sehen, was niemand von Euch sieht. Und dies ist, was ich gesehen habe — das Blut Eurer Familie hat Euch die Möglichkeit gegeben, mit den Göttern zu handeln, aber Ihr habt das nicht begriffen. Ihr habt diese Macht nie genutzt ... aber ich werde es tun.«
»Was ist das für ein Unsinn? Ihr sagtet doch selbst, dass Ihr dieses Blut nicht habt.«
»Ihr werdet es auch nicht mehr haben, wenn es in der Mittsommernacht aus Euch herausgelaufen ist«, sagte der Autarch grinsend. »Aber mir wird es helfen, Macht über die Götter selbst zu erlangen — ja, Euer Blut wird mich zu einem Gott machen?«
Da verstummte König Olin, und seine Schritte wurden so langsam, dass ihn einer seiner Bewacher am Ellbogen fasste musste, um ihn dazu zu bringen, schneller zu gehen. Der Autarch hingegen war bester Laune: Sein langknochiges Gesicht war voller Leben, und seine Augen funkelten nicht minder als die Vergoldung seiner teuren Kriegsrüstung. Zu Beginn des Jahres hätte es Vash beinah den Kopf gekostet, dem Autarchen erklären zu müssen, dass man seine Rüstung nicht aus massivem Gold fertigen könne, weil das Gewicht selbst einen Gottkönig niederziehen würde. Da hatte er gelernt, was Olin jetzt erkannte: Mit Sulepis dem Goldenen konnte man nicht vernünftig argumentieren, man konnte nur beten, dass er einen noch einen Tag lang verschonte.
»Ach, Olin, nun schaut nicht so beleidigt drein!«, sagte der Autarch. »Ich habe Euch doch schon vor langem erklärt, dass ich das Ende unseres Zusammenseins sehr bedauern werde — ich habe die Gespräche mit Euch wirklich genossen —, dass ich Euch tot jedoch dringender brauche als lebend.«
»Wenn Ihr hofft, mich betteln zu hören ...«, setzte Olin an.
»Aber nicht doch? Ich wäre, ehrlich gesagt, enttäuscht.« Der Autarch streckte seinen Becher von sich, und ein zu seinen Füßen kniender Sklave füllte ihn augenblicklich aus einem goldenen Krug. »Nehmt auch etwas Wein. Heute werdet Ihr nicht sterben, also könnt Ihr ebenso gut diesen schönen Nachmittag genießen. Ihr seht doch, die Sonne ist hell und kräftig?«
Olin schüttelte den Kopf. »Ihr werdet entschuldigen, dass ich nicht mit Euch trinke.«
Der Autarch verdrehte die Augen. »Wie Ihr wollt. Aber falls Ihr es Euch anders überlegt, sagt es einfach. Ich bin mit meiner Geschichte noch längst nicht fertig. Also, wo war ich stehengeblieben ...?« Er runzelte die Stirn, als dächte er nach, ein scherzhaftes Mienenspiel, bei dessen Anblick Vash ganz schlecht wurde. Konnte es wirklich wahr sein? Konnte die Macht der Himmelsgötter wirklich auf Sulepis übergehen — einen Wahnsinnigen, der schon jetzt der mächtigste Mann auf Erden war?
»Ah ja«, sagte der Autarch. »Ich sprach von Eurer Gabe.«
Olin gab einen leisen Laut von sich, der fast wie ein Seufzer der Qual klang.
»Ihr wisst natürlich, wie Ihr an diese Gabe gekommen seid — die Qar-Frau Sanasu, die Euer Ahnherr Kellick Eddon gefangen nahm, die Kinder, die er mit ihr zeugte und die Eure Vorfahren waren. Oh, ich habe Eure Familie studiert, Olin. Die Gabe ist bei denjenigen am stärksten, die das Zeichen der
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