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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Olins Sprache gut genug konnten, um genau zu verstehen, was er sagte, ließ doch bereits der Ton des Nordländerkönigs bei diesen letzten Sätzen viele der Umstehenden besorgt, wenn nicht gar panisch auf ihren Herrscher blicken. Dieser Fremde beleidigte den Goldenen!
    Sulepis sagte zunächst nichts, doch schließlich breitete sich ein Grinsen langsam über sein schmales Gesicht.
    »Sehr gut«, sagte er. »Wirklich sehr gut, Olin. Eine Geschichte, die eine Lehre enthält? Obwohl Ihr meiner Meinung nach Eurem Publikum hättet zutrauen können, die Bedeutung auch ohne diesen letzten Teil zu erfassen — vielleicht etwas zu viel Honig auf dem Kuchen, wenn Ihr versteht, was ich meine. Dennoch, sehr gut.« Er nickte, als prüfte er eine neue Idee. »Und Euer Rat ist ausgezeichnet. Es wäre sicher nicht gut, meine sämtlichen Schiffe und Männer auf einmal in die Bucht zu führen und jeder Bosheit auszusetzen, die diese Qar gegen mich aushecken mögen.« Er beugte sich herab, wie um Olin ein Geheimnis zu verraten. »Deshalb werden wir jetzt gleich eine beträchtliche Anzahl Soldaten ausschiffen und von Land her nach Südmark marschieren lassen, während die Flotte sich von See her nähert. Was sagt Ihr, König Olin? Da es doch Eure Idee ist, werdet Ihr mich begleiten? Es könnte Eure einzige Chance sein, den Boden Eurer Heimat unter Euren Füßen zu spüren — jedenfalls, während Ihr gleichzeitig freien Himmel über dem Kopf habt.« Er lachte und rief dann dem Kapitän des Flaggschiffs zu: »Fertigmachen zur Landung?«
    Der Autarch verließ das Vorderkastell, und seine Diener eilten vor ihm her wie Ameisen. Pinnimon Vash musste dem Goldenen natürlich folgen — diese vorzeitige Landung überraschte ihn, und er hatte eine Menge zu tun. Als er sich noch einmal umblickte, stand Olin Eddon noch an derselben Stelle, umringt von seinen Bewachern, und sein bleiches Gesicht zeigte keinen Ausdruck, den Vash hätte identifizieren können.

    Wenn er ganz ehrlich hätte sein wollen, hätte Vash zugeben müssen, dass Olin Eddon ihn unsicher machte. Bisher waren ihm nur zwei Sorten Monarchen begegnet — die Autarchen, denen er gedient hatte, waren allemal in eine dieser beiden Kategorien gefallen —, solche, die blind für ihre eigenen Schwächen waren, und solche, die sich ihnen ganz und gar ergaben. Die Grausamsten wie etwa Parak, der Großvater des jetzigen Autarchen, hatten zu letzterer Sorte gehört. Parak Bishak am-Xis VI. hatte in jedem Flüstern und jedem gesenkten Blick eine Verschwörung gewittert. Vash selbst hatte seine Jahre an Paraks Hof nur mit Mühe überlebt und seinen Kopf nur dadurch gerettet, dass er die Aufmerksamkeit des Autarchen — natürlich mit subtilsten Mitteln — auf andere gelenkt hatte. Trotzdem war Pinnimon Vash in jenen albtraumhaften letzten Jahren unter Parak zweimal verhaftet worden und hatte einmal bereits sein Testament gemacht. (Wobei das nicht viel genützt hätte: Einer der Anreize für Autarchen, auf Verrat zu erkennen, bestand darin, dass der Besitz des Verräters automatisch an den Thron fiel.)
    Der jetzige Autarch war natürlich von der anderen Sorte, der, die sich für unfehlbar hielt. Allerdings war das Glück des jungen Autarchen so frappierend, dass selbst Vash allmählich schon glaubte, hinter Sulepis stünde der Himmel selbst.
    Doch dieser Nordländer, Olin, war anders als alle Herrscher, die der Oberste Minister je erlebt hatte, ja mit seinen wohlbedachten Worten und seiner stillen Art, alles um sich herum zu beobachten, erinnerte er Pinnimon Vash an seinen eigenen Vater. Tibunis Vash war Oberster Verwalter des Obstgartenpalasts gewesen und der erste, der je aus Altergründen von diesem Posten zurücktrat — alle seine Vorgänger waren im Amt gestorben oder von unzufriedenen Autarchen hingerichtet worden. Auch als Pinnimon längst erwachsen gewesen war, ja selbst nachdem er das Amt des Obersten Ministers erlangt hatte, die höchste Position, die ein Mann ohne königliches Blut einnehmen konnte, hatte ihn die Gegenwart seines Vaters immer noch eingeschüchtert, so als könnte der alte Mann geradewegs durch das hindurchblicken, was andere beeindruckte, als sähe er unter der Amtsrobe den zitternden Jungen.
    »Jetzt ist er schon zehn Jahre tot«, hatte Vashs jüngerer Bruder einmal gesagt, »und wir schauen uns immer noch um, ob er uns womöglich beobachtet.«
    Doch Tibunis Vash war weder besonders grausam noch besonders kalt gewesen — einfach nur ein zurückhaltender, bedachter

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