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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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könnte, dass er nicht stark genug wäre, zu tragen, was ihm gegeben wurde.
    Nichts.
Ein ungewöhnlicher Schein erfüllte den Raum, lila wie das letzte Abendlicht. Gleich darauf erkannte Barrick, dass der Lichtschein nicht so ausgedehnt war, wie er gedacht hatte, sondern ganz aus der Nähe kam — er umgab Ynnirs Kopf wie Nebel einen Berg. Der hochgewachsene König bückte sich, nahm mit beiden Händen Barricks Kopf und drückte dann kühle, trockene Lippen auf die Stirn des jungen Mannes, genau über der Nasenwurzel. Einen Moment lang glaubte Barrick, das sanfte Licht sei irgendwie in ihn hineingesickert, denn alles um ihn herum — Ynnir, die staubigen Spiegel, die zur Form hängender Äste voller Blätter und Beeren geschnitzten Deckenbalken — hatte jetzt dieses violette Strahlen angenommen.
    »Was ...?« Er blinzelte. Eine Glocke tönte — es musste eine Glocke sein, es war so laut und tief! »Was soll ich ...?« Wieder tönte die Glocke — aber es konnte keine Glocke sein, wurde ihm klar, weil es lautlos war. Dennoch fühlte er das vibrierende Tönen in sein Innerstes dringen.
    Schlaf, Kind,
sagte Ynnir, der immer noch Barricks Kopf hielt.
Es hat bereits begonnen ...
    Und dann war da nichts mehr als das Tönen in seinem Kopf, sein Herz, das laut und kräftig schlug, wie das Pulsen von sehr kaltem Wasser in den Adern eines Bergs, ein Schmerz wie eisiges Feuer, und sein Schädel, der bei jedem hallenden Schlag erbebte ...
    Kampfesmüde fiel er schließlich, für einen endlosen Moment von Agonie durchzuckt, in Dunkel und Stille.

    Die haarlose, menschenmannähnliche Kreatur blickte auf ihn herab, und vom flackernden Licht der Lampe huschten Schatten über ihr Gesicht. Nein, es war nicht nur eine Kreatur, es waren mehr, viel mehr, alle leicht durchscheinend.
    Jetzt war da ein Flüstern, eine tonlose Stimme, die sein Denken kitzelte:
Harsar-so getreuer Diener aber man sollte ihm nie ganz vertrauen die Steinkreisleute haben während der Großen Niederlage
zu
viel verloren ...
    Die Stimme in seinem Denken verlor sich, und die Gestalt vor ihm war jetzt wieder nur noch
ein
Wesen — der Diener des Königs, Harsar. In seiner Benommenheit verstand Barrick zunächst gar nichts. Was war geschehen? Wo war er?
    »Noch immer in der Halle der Spiegel«, antwortete ihm Harsar, obwohl Barrick gar nichts gesagt hatte. Er sah, wie sich der Mund des Dieners bewegte, hörte Harsars sorgsam unmodulierte Stimme in seinen Ohren, aber er hörte sie auch in seinem Denken, und was sie dort sagte, war ein wenig anders. »Der Erste Stein schläft. Die Tochter der Ersten Blume will Euch sprechen.«
    Wie wehte das tonlose Flüstern durch ihn hindurch:
Erfolg sie lebt aber wir sind unfruchtbar wir werfen unseren Samen in den Wind wie wir die Würfelknochen werfen.
Es war nicht einfach eine Stimme in seinem Kopf, es war nur ... ein Gedanke, so leise wie Gras, das sich der Sonne entgegenstreckt. Barrick versuchte sich aufzusetzen. Warum lag er auf dem Boden? Warum fühlte sich sein Kopf an wie ein zu prall mit Schotter gefüllter Sack, der aus den Nähten zu platzen drohte, während alle diese Gedanken
Worte Ideen Geräusche Gerüche
in seinem Denken knisterten und knackten wie Kiefernzapfen, die im Feuer aufbrechen? Er fasste sich an den Kopf, um ihn am Bersten zu hindern. Gleich darauf verging dieses Gefühl, obwohl sich sein Kopf immer noch beunruhigend voll anfühlte und die Welt um ihn herum von ihren eigenen Geistern bewohnt schien, so als sähe er alles durch schlecht gemachtes Glas.
    »Kommt«, sagte Harsar. »Die Tochter der Ersten Blume ...«
    Saqri, Schwester, Gemahlin, Enkeltochter, Nachfahrin ...
flüsterten die tonlosen Stimmen in seinem Kopf »... erwartet Euch.«
    In der Stätte des Sich-Verengens. Der Halle der Wegkreuzungen. Unter den Dornenzweigen, wie in den Ersten Tagen, als das Volk jung war ...
    Barricks Kopf fühlte sich an wie ein Bienenstock — er musste sich beherrschen, um nicht die Hände zu heben und nach den schwirrenden Gedanken zu schlagen. »Aber was ist mit dem König ... wo ist Ynnir?«
    »Der Sohn des Ersten Steins ist in der Halle des Abschieds«, sagte Harsar laut.
    ...
ist im Herzen des Tanzes der Veränderung,
sagten Harsars Gedanken.
    »Kommt«, sagte Harsar laut. »Sie wird Euch zu ihm bringen.«
    Barrick konnte nicht mehr sprechen, er konnte nur noch Harsar durch den Mittelgang folgen, während die neuen Gedanken wirbelten wie Stäubchen in einer Windhose — Namen, Augenblicke, aufblitzende Bilder,

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