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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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Ehe sie irgendetwas von den Kleidern anzog, suchte sie es sorgsam nach vergifteten Stecknadeln ab.
    Die Adligen am Hof behandelten sie achtungsvoll, sooft sie sie trafen, wobei sie allerdings kaum je ihre Gemächer verließ. Es war zu seltsam, dieses Weder-noch — keine richtige Prinzessin zu sein, aber auch keine einfache Schauspielerin unter Schauspielern mehr (obwohl ihr manchmal war, als spielte sie immer noch eine Rolle). Es war schwer, mit den verwöhnten, übertrieben gekleideten Leuten an Enanders glitzerndem Hof nette Floskeln zu wechseln, ohne dabei das Gefühl zu haben, dass sie, indem sie hier ihre Zeit vertat, irgendwie ihre Familie und ihr Volk verriet. Doch an einem fremden Hof und ohne verlässliche Freunde blieben ihr nur die wenigen Nachrichtenfetzchen aus der Heimat, die sie in Unterhaltungen ergattern konnte. Die Belagerung durch die Elben, so erfuhr sie, dauerte immer noch an, doch da sie sich in den letzten Monaten friedlicher gestaltet hatte, verschwendeten die Syanesen immer weniger Gedanken auf Südmark. Tolly regierte dort nach wie vor als Protektor des jüngsten Königssohnes Alessandros. Und Brionys Verbleib war immer noch ein Rätsel — manche Südmärker glaubten, sie sei entführt worden, vielleicht sogar vom Autarchen von Xis. Bis vor kurzem hatte das verbreitetste Gerücht in Tessis gelautet, dass sie getötet und ihr Leichnam versteckt worden sei, aber ihr Auftauchen im Weithallpalast hatte dieser Theorie weitgehend den Wind aus den Segeln genommen.
    Die vier jungen Edelfräulein (Spioninnen, dachte Briony), die ihr die Mätresse des Königs, Ananka, geschickt hatte, schienen ja ganz nett, aber es fiel ihr schwer, mit ihnen zu reden, und ihnen zu vertrauen, war völlig ausgeschlossen. Das galt selbst für die jüngste, die kleine Talia, die noch nicht einmal zwölf war. In den einsamen ersten Wochen nach Shasos Tod und ihrer Flucht aus Landers Port hatte Briony davon geträumt, wieder so simple, heimelige Situationen genießen zu können, wie sich die Haare bürsten zu lassen und dabei über dies und jenes zu schwatzen, aber entweder waren diese jungen Frauen weit einfältiger als ihre Lieblingszofen Rose und Moina zu Hause in Südmark, oder aber Briony hatte die Lust an solchem Geplapper verloren. Aufgeregte Spekulationen über diesen ehrgeizigen Höfling oder jene Liebesaffäre, spitze Bemerkungen über Personen, die Ambitionen über ihren Stand hinaus entwickelten, und die ewigen Mutmaßungen über Prinz Eneas und seine Amouren und Abenteuer interessierten sie nicht sonderlich. Gewiss, der Prinz hatte Briony beeindruckt, aber alles, was sie wollte, war Hilfe für ihr Volk und den Eddon-Thron, und sie konnte sich nun mal keine schickliche Art und Weise vorstellen, näher mit Eneas ins Gespräch zu kommen, geschweige denn, ihn um Hilfe zu bitten. Und was den König selbst betraf — Lady Ananka hatte ja bereits klargestellt, dass sie König Enander als ihr persönliches Territorium betrachtete.
    In ihren Gemächern gestrandet wie ein schiffbrüchiger Seemann auf einer einsamen Insel, sehnte sich Briony bald nach etwas Substantiellerem als dem syanesischen Hofklatsch und nach vertrauterer Gesellschaft, als sie ihr ihre Jungfern bieten konnten.
    Doch dann kam eines Morgens Agnes, eine ihrer Zofen, ganz aufgeregt zu ihr. »Hoheit, Ihr erratet nie, wer hier ist?«
    »Wo hier?« Aber Briony setzte sich doch gerader auf. War es der Prinz, der sie allein besuchen kam? Wenn ja, wie könnte sie das Gespräch auf Südmark und seine Not lenken?
    »Hier am Hof«, sagte das Mädchen. »Er kam letzte Nacht einfach angeritten — ganz in Pelz wie ein vuttischer Kauffahrerkapitän!«
    »Keine Ahnung.« Der Prinz war es nicht, so viel stand fest, denn der war ja schon länger wieder hier. Es musste ein anderer Edelmann sein, irgendein legendäres Objekt syanesischen Hofklatschs. Wenn Perin selbst, seinen heiligen Hammer schwingend, auf die Erde herniederkäme, dachte Briony, würden all diese Leute hier über nichts anderes reden als über seine Schuhe. Und vielleicht noch darüber, ob die Farben, die er trug, der Jahreszeit angemessen waren.
Barmherzige Zoria, und da hielten mein Bruder und ich schon die Adligen von Südmark für oberflächlich ...
    Agnes hüpfte regelrecht vor Aufregung. »Oh, aber Ihr müsstet daraufkommen können, Hoheit — es ist ein Landsmann von Euch!«
    »Was?« Einen Augenblick dachte sie an Barrick, dann an Shaso und selbst an Ferras Vansen, aber die waren ja alle

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