Die Daemmerung

schließlich — so langsam wie jemand, der etwas aus einem beschädigten, alten Buch ablas. »Dann kam ich zu den anderen erwachsenen Frauen, um dort zu leben. Da waren so viele Frauen? Alle an einem Ort, alle voller Missgunst und böser Pläne. Aber das Schlimmste war, wir gehörten alle ...
ihm.
Dem Schrecklichen. Da bin ich weggelaufen. O Götter, rettet mich, ich will nicht zu ihm zurück?«
    Wieder trieb es ihn zu sprechen, aber irgendwoher wusste er, dass er es nicht durfte. Sie musste selbst drauf kommen.
    »Und ich werde nicht zurückgehen. Ich werde frei bleiben. Ich werde tun, was ich will. Eher sterbe ich, als mich von ihm benutzen zu lassen, sei es als Spielzeug, sei es als Waffe.« Sie hielt kurz inne. »Qinnitan. Mein Name ist Qinnitan.«
    Und in diesem Moment war da in ihm plötzlich eine Kraft, etwas, das ihn verankerte, trotz all des Dunkels, durch das er gekommen war, das ihn verwurzelte, in seinem Blut, seiner Geschichte, seinem Namen. »Und ich bin Barrick. Barrick Eddon.«
    »Dann komm zu mir, Barrick Eddon, oder ich werde zu dir kommen«, sagte Qinnitan. »Weil ich mich so vor dem Alleinsein fürchte ...«
    Und da fiel der Spiegel plötzlich hinab, trudelte ins Dunkel wie eine Silbermünze in einen Brunnenschacht, wie eine glänzende Muschel, die wieder ins Meer zurücksinkt, eine Sternschnuppe, die in der endlosen Weite der Nacht verschwindet ...
    »Qinnitan!« Aber er war jetzt allein im Leeren. Er versuchte wieder die Kraft und die Gewissheit zu fühlen, die ihm seinen Namen zurückgebracht hatten, das Wissen um sein lebendiges Blut, das durch seine Adern strömte, so heiß wie geschmolzenes Metall ...
    Mein Blut.
    Da sah er es plötzlich wie einen Fluss, einen roten Fluss, der sich in zwei Richtungen erstreckte. In der einen verschwand er in undurchdringlichem, silbrigem Nebel. In der anderen schlängelte er sich zurück in Dunkel, aber in ein lebendiges Dunkel voller Bewegung und Andeutungen. Es fühlte sich fast an, als könnte er die Hand ausstrecken und den Fluss mit dem Finger entlangfahren wie eine gemalte Linie auf einer Landkarte, eine Linie, die Unterwegssein bedeutete, eine Straße, einen Weg, etwas, das ihn hinführen würde zu ... zu ...
    Etwas Silbernes blitzte auf, noch einmal, blendete ihn. Er fiel in den heißen roten Fluss, und einen Moment war er sich sicher, dass es ihn vernichten würde, dass der Fluss alles verdampfen würde, was er war, selbst den Namen, den er gerade erst wiedergefunden hatte.
    Barrick,
sagte er sich vor, und es war, als ob er am Ufer stünde und es einem anderen Teil seiner selbst zuriefe, der in dem blutroten Strom versank.
Barrick Eddon. Ich bin Barrick Eddon. Barrick vom Fluss des Blutes.
    Und plötzlich war da ein anderes Gesicht, das aus dem Rot gerann, so wie das Gesicht des Mädchens aus dem Schwarz hervorgekommen war. Es war ein Mann, halb uralt, halb jung, mit wallendem weißem Haar und einer Binde um die Augen, ein Gesicht, das ihm vage bekannt vorkam, als hätte er es einmal auf einer alten Münze gesehen.
    Beeil dich, Menschenkind,
sagte der blinde Mann.
Bald schon wird alles in
zu
schneller Bewegung sein, um den Lauf noch
zu
ändern. Wir rasen aufs Dunkel
zu.
Wir stürzen dem Ende aller Dinge entgegen.
    Komm bald, oder du musst lernen, das Nichtsein
zu
lieben.
    Und dann fiel alles um Barrick herum in noch tieferes Dunkel, und er fiel ebenfalls, stürzte wieder durch endloses schwarzes Nichts, aller Gefühle und Gedanken entleert, berührt nur von einem rauhen, stöhnenden Wind und dem ersterbenden Flüstern des blinden Mannes:
    ... Du musst lernen, das Nichtsein zu lieben ...

11

Parieren und Zustechen
    Vorzeiten entführten Zmeos und sein Bruder Khors die Perinstochter Zoria. Dies führte
zu
einem Krieg, der das Antlitz der Erde und selbst die Länge der Tage und Nächte veränderte. Fast alle Gelehrten sind sich einig, dass die Elben sich auf die Seite des Zmeos, der alten Schlange, schlugen. Deswegen sind für die Trigonatskirche die Qar bis heute »verdammt und mit dem Bann belegt«.
    Eine Abhandlung über die Elbenvölker Eions und Xands
    »Prinzessin Briony«, sagte Lady Ananka, während die Bediensteten den zuletzt gereichten Gang abtrugen, »könnt Ihr mir sagen, wie man im Norden die Kinder aufzieht?«
    Dünnes Flüstern und leises erwartungsvolles Lachen liefen die königliche Tafel entlang. Briony wünschte, ihre Freundin wäre hier, aber Ivgenia war an einem der minderen Tische am anderen Ende der Halle plaziert und hätte