Die Daemmerung
ebenso gut in einem fernen Land sein können.
»Verzeiht, Baronin, aber ich habe Eure Frage nicht verstanden.«
»Wie zieht man im Norden die Kinder auf?«, fragte die Mätresse des Königs. »Lässt man sie einfach frei herumlaufen, wie es die Markenländer mit ihren Schafen und anderen Nutztieren machen?«
Briony lächelte bemüht. »Nicht alle unsere Tiere laufen frei herum, Mylady, aber in Gegenden, wo reichlich Gras wächst, ist es nur sinnvoll, die Fülle, die uns die Götter schenken, zu nutzen.«
»Aber mich interessieren die Kinder, Liebes«, sagte Ananka säuerlich-süß. »Ich habe beispielsweise gehört, dass Ihr im Kampf mit Schwert und Schild unterrichtet wurdet. Überaus aufregend, gewiss, aber uns scheint das doch ein wenig ... unzivilisiert. Ich hoffe, Ihr seid nicht gekränkt.«
Briony tat ihr Bestes, weiterzulächeln, aber es wurde immer schwerer. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Attacke schon so früh am Abend beginnen würde — sie waren gerade erst mit der Suppe fertig —, doch das hier konnte niemand außer dem König beenden, und Enander schien weit interessierter an seinem Wein und der Unterhaltung mit einer hübschen Frau an seiner anderen Seite.
Es ist wie eine von Shasos Dolchkampfübungen,
dachte Briony.
Kombiniert damit, eine von Finn geschriebene Rolle
zu
spielen. Wenn ich das beides geschafft habe, werde ich auch hiermit fertig werden.
»Wie könntet Ihr mich je kränken, Mylady?«, fragte Briony die Geliebte des Königs ohne jede hörbare Ironie. »Wo Ihr und Seine Majestät doch so gütig wart, mir nicht nur Obdach zu gewähren, sondern auch noch die unschätzbare Gabe Eurer Freundschaft?«
»Gewiss«, sagte Ananka langsam, als überdächte sie ihre Strategie. Eine neue Welle von Flüstern lief um den Tisch. Diejenigen, die Briony bisher aus gesellschaftlichen Gründen geflissentlich ignoriert hatten, konnten jetzt endlich ihrer Neugier nachgeben und sie offen mustern. »Aber ich frage, weil da noch etwas ist, das mich beschäftigt. Etwas, wovon ich hoffte, Ihr ... könntet mir helfen, es zu verstehen.«
Was auch passiert, lass dich nicht in einen Kampf hineinziehen,
ermahnte sich Briony.
Sie hat hier die bessere Position und alle sonstigen Vorteile.
»Gewiss, Lady Ananka, wenn ich kann.«
Ananka gab ihrem hübschen, langknochigen Gesicht einen ernsten Ausdruck. »Stimmt es, dass Ihr Hendon Tolly zum Zweikampf gefordert habt? Einem ... Schwertkampf?«
Das Tuscheln steigerte sich zu ungläubigen und entrüsteten Ausrufen, untermischt mit Lachen. Frauen, die in ihrem ganzen Leben noch nichts Anstrengenderes getan hatten als zu sticken, starrten Briony an, als wäre sie eine von den Göttern geschlagene Missgeburt — ein zweiköpfiger Widder oder eine beinlose Katze. Ihre Mienen entzündeten in Briony eine Flamme des Zorns, und sie hatte alle Mühe, nicht aufzuspringen und das Geschirr vor sich vom Tisch zu fegen.
Jeden Abend quälte diese Frau sie.
Götter, ich wünschte, ich hätte mein Schwert hier und jetzt!
»Wenn Ihr die Beherrschung verliert, werdet Ihr wahrscheinlich auch den Kampf verlieren«,
hörte sie Shasos schroffe Stimme, als stünde er hinter ihr.
»Der Krieger, der einen klaren Kopf bewahrt, ist immer bewaffnet.«
Briony atmete tief durch. »
Um innere Ruhe
zu
spielen, müsst Ihr Euch innere Ruhe vergegenwärtigen.«
Das hatte Nevin Kennit in einem seiner nüchternen Momente gesagt.
»Beschwört das Gefühl in Euren Gedanken herauf. Kostet es wie eine Frucht.«
Sie dachte daran, wie sie auf dem Wagen gesessen hatte, als sie über die syanesische Grenze gezogen waren, dachte an den Moment, als sich die Weite des Estertals vor ihr geöffnet hatte wie die Arme eines Freunds, der sie willkommen hieß.
»O ja, ich habe ihn gefordert, Mylady«, sagte sie in leichtem Ton. »Aber jetzt bereue ich es natürlich. Es war nicht schicklich, und es war eine Belastung für meine übrigen Gäste.« Eine kleine Riposte konnte doch wohl nicht schaden, oder? »Eine Gastgeberin sollte ihre Gäste niemals zwingen, ihre schlechten Manieren zu unterstützen.«
Wieder lief leises Lachen um den Tisch, aber Briony bildete sich ein, es klänge jetzt ein ganz klein wenig mitfühlender.
»Ihr habt ihm ein Schwert an die Kehle gesetzt, stimmt das?«, fragte Ananka in liebenswürdigem Ton, als versuchte auch sie nur, einen peinlichen Moment möglichst schnell zu überspielen.
»Ja, das stimmt, Mylady.« Briony bemerkte erfreut, dass der größte Teil ihres Zorns einfach
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