Die Daemmerung
e'Doursos. »Ich fühle mich nicht so wohl — nur ein kleines inneres Frösteln. Bestell bitte dem König und Lady Ananka meine besten Grüße.«
Als Ivgenia gegangen war, suchte Briony ihre Schuhe und zog sie an. Es war die Woche über trocken gewesen, zum Glück — das machte die Aussicht, im Freien zu warten, etwas verlockender. Doch schon als sie den Gang entlangschlich, hatte sie Gänsehaut.
Der Wetterfahnenhof hatte seinen Namen von einer riesigen Wetterfahne in der Form von Perins fliegendem Ross. Sie stand auf einem hohen Turm am einen Ende des Hofs, ein Wahrzeichen, das über halb Tessis hinweg zu sehen war und oft als Bezugspunkt bei Wegbeschreibungen diente. Jenseits der höchsten Hofmauer verlief die breite, alte Laternenstraße. Briony hörte Ochsen muhen, Karrenräder quietschen und Straßenhändler ihre Ware anpreisen. Einen Moment lang fragte sie sich, wie es wohl wäre, einfach auf die große Straße hinauszugehen und ihr zu folgen, wo immer sie sie hinführte — in ein Leben, in dem es keine höfischen Intrigen und keine familiären Verpflichtungen gab, keine Monster, Zwielichtler, Verräter oder Gefangene. Wenn sie das doch nur könnte!
»Guten Abend, edles Fräulein«, sagte eine tiefe Stimme an ihrem Ohr.
Noch vor dem Ende des ersten Worts war Briony herumgefahren und hatte ihm den Dolch an die Kehle gesetzt.
»Ich schließe daraus, dass Ihr nicht erfreut seid, mich zu sehen«, sagte Dawet dan-Faar nur leicht gepresst. »Ich weiß nicht genau wofür, Prinzessin Briony, aber ich werde mich gern entschuldigen, sobald Ihr Eure hübsche Klinge von meiner Luftröhre nehmt.«
»Hat Euch das Spaß gemacht?« Sie nahm die Klinge herunter und trat einen Schritt zurück. Sie hatte den Geruch seiner Haut und den tiefen Klang seiner Stimme ganz vergessen, und was beides jetzt in ihr auslöste, passte ihr gar nicht. »Euch in meine Gemächer zu schleichen, um mir einen Brief zu hinterlegen? Männer! Ihr seid doch letztlich alle kleine Jungen, spielt Krieg und Spionage, auch wenn ihr gar nicht müsstet.«
»Spielen?« Er zog eine Augenbraue hoch. »Ich denke doch, was Euch und Eurer Familie widerfahren ist, zeigt, dass dies kein Spiel ist. Es geht um Menschenleben.«
»Und warum? Wegen anderer Männer.« Sie steckte den Dolch wieder in ihren Ärmel. »Was geschieht Euch, wenn Ihr hier ertappt werdet, dan-Faar?«
»In Wahrheit? Nichts, was sich nicht reparieren ließe, aber ich würde es vorziehen, meine Kräfte nicht auf solche Reparaturarbeiten verwenden zu müssen, wenn ich es vermeiden kann.«
»Dann lasst uns zu der Bank dort unter dem Apfelbaum gehen. Die ist von den Säulengängen kaum zu sehen.«
Sie führte ihn zu der Bank, schwang ihre Röcke sorgsam zur Seite, um sich setzen zu können, und patschte dann in schicklichem Abstand neben sich aufs Holz. »Setzt Euch. Erzählt mir, was geschehen ist, seit wir uns das letzte Mal sahen. In dem Gasthaus hatten wir keine Zeit zum Reden.«
»Ach, ja«, sagte er. »Das
Falsche Frauenzimmer
und sein dreckiger kleiner Wirt. Das war ein unerfreulicher Nachmittag — beinah hätten sie mich gekriegt.«
»Ach, hört auf.« Briony schüttelte den Kopf »Ich sagte doch, diese Spiele langweilen mich. Erwartet Ihr wirklich, dass ich glaube, Ihr wärt aus eigener Kraft entkommen?«
Er schien verdutzt. »Wie meint Ihr das, Prinzessin?«
»Ich bitte Euch, dan-Faar. Was sagtet Ihr doch gleich zu dem Wachhauptmann? ›Ich schwöre bei Zosim Salamandros, Ihr habt den Falschen ergriffen?‹ Ein Schwur beim Trickstergott höchstpersönlich als Codewort, und Ihr glaubt, das merke ich nicht? Und dann diese ... diese Fluchtscharade, günstigerweise hinter der Mauer, wo es niemand sehen konnte? Meint Ihr, nachdem ich monatelang bei einer Theatertruppe war, würde ich Tricks und Schauspielerei nicht erkennen? Der Wachhauptmann hat Euch entkommen lassen.«
Ein Lächeln zuckte um Dawets Mundwinkel, im Fackelschein gerade eben sichtbar. »Ich bin ... sprachlos«, sagte er schließlich.
»Ich kann mir sogar denken, mit wem Ihr dieses Arrangement getroffen habt«, sagte sie. »Lord Jino, der Herr der Spione des Königs — war er zufällig derjenige? Nein, Ihr braucht nicht zu antworten. Die einzig echte Frage, werter dan-Faar, ist die nach Eurer wahren Rolle am syanesischen Hof. Ludis Drakavas geheimer Gesandter aus Hierosol? Oder ein Doppelagent, der eigentlich für König Enander arbeitet, aber so tat, als diente er Drakava?«
»Ich bin beeindruckt, edles
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