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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Benton stellt fest, dass Marinos Hände zittern. Die beiden Männer sitzen vornübergebeugt da und starren auf ein Segelboot, das gerade vom Bootshaus davongleitet.
    »Gehst du hier manchmal zum Konzertpavillon?«, fragt Marino, übermannt von Gefühlen, die er mit heftigem Husten und ein paar lautstarken Zügen an der Zigarette im Keim zu ersticken versucht.
    »Am 4. Juli habe ich die Boston Pops gehört«, erwidert Benton leise. »Von meiner Wohnung aus bleibt einem nichts anderes übrig. Wie geht es dir?«
    »Aber hingegangen bist du nicht.« Marino gibt sich große mühe, ganz normal und so wie früher zu klingen. »Klar, das verstehe ich. Ich würde es wahrscheinlich auch nicht tun. Diese Idiotenhorden, und dabei hasse ich Gedränge. In Einkaufszentren, zum Beispiel. Inzwischen bin ich so weit, dass ich es in Einkaufszentren nicht mehr aushalte.« Er pustet eine große Rauchwolke aus, die filterlose Zigarette zittert zwischen seinen dicken Fingern. »Wenigstens wohnst du nicht so weit weg, dass du auf die Musik verzichten musst, Kumpel. Könnte schlimmer sein. Das sage ich mir immer: Könnte schlimmer sein.«
    Bentons schmalem, attraktivem Gesicht ist die explosive Mischung aus Gedanken und Gefühlen nicht anzumerken, die in seinem Inneren brodelt. Auch die Hände verraten nichts. Er hat seine Nerven und Mimik unter Kontrolle. Er ist niemandes Kumpel und war das auch nie; nun kochen deshalb Trauer und Wut in ihm hoch. Marino hat ihn als Kumpel bezeichnet, weil er nicht weiß, wie er ihn sonst nennen soll.
    »Ich glaube, ich muss dich bitten, mich nicht mit Kumpel anzusprechen«, sagt Benton ungerührt.
    »Klar. Ist ja egal.« Marino zuckt gekränkt die Achseln.
    Für einen großen, gefährlichen Polizisten ist er übertrieben empfindlich und nimmt die ganze Welt persönlich. Sein Talent, eine aufrichtig gemeinte Bemerkung als Beleidigung zu deuten, wird von seinen Bekannten als anstrengend und von Fremden als beängstigend empfunden. Marino ist ausgesprochen reizbar, und seine Wut kennt keine Grenzen, wenn er erst mal in Fahrt ist. Dass ihn seine Zornesausbrüche noch nicht das Leben gekostet haben, liegt daran, dass sich Körperkraft und Widerstandsfähigkeit bei ihm mit einer ordentlichen Portion Erfahrung und Glück mischen. Allerdings ist einem das Glück nicht ewig gewogen. Als Benton Marinos Erscheinung eingehend mustert, macht er sich dieselben Sorgen wie früher: Irgendwann werden eine Kugel oder ein Schlaganfall ihn niederstrecken.
    »Ich kann ja wohl schlecht Tom zu dir sagen«, gibt Marino zurück. »Wenigstens nicht ins Gesicht.«
    »Tu dir keinen Zwang an. Ich bin daran gewöhnt.«
    Marinos Kiefermuskeln zucken beim Rauchen.
    »Passt du besser oder schlechter auf dich auf, seit wir uns zuletzt gesehen haben?« Benton betrachtet seine Hände, die locker zwischen den Knien liegen. Seine Finger spielen langsam an einem Splitter herum, den er aus dem Picknicktisch gezogen hat. »Obwohl die Antwort eigentlich offensichtlich ist«, fügt er schmunzelnd hinzu.
    Schweiß rinnt Marinos allmählich kahl werdenden Kopf herab. Als er seine Sitzposition verändert, spürt er die 40-ka- librige Glock, die unter seinem massiven linken Arm festgeschnallt ist. Am liebsten würde er sich die Windjacke mit dem Aufdruck einer Bowlingmannschaft vom Leib reißen. Darunter ist er klatschnass, sein Herz klopft heftig, das dunkelblaue Nylon saugt das Sonnenlicht auf wie ein Schwamm. Er pustet eine Rauchwolke aus und hofft, dass sie nicht in Bentons Richtung weht. Sie tut es. Genau in sein Gesicht.
    »Danke.«
    »Keine Ursache. Ich kann dich nicht Tom nennen.«
    Marino glotzt eine junge Frau in Stretchshorts und Sport- BH an, die mit hüpfenden Brüsten vorbeiläuft. Er kann sich einfach nicht daran gewöhnen, dass Frauen im BH joggen. Für einen altgedienten Detective von der Mordkommission, dem im Laufe der Jahre Hunderte nackter Frauen - die meisten in Striplokalen oder auf Autopsietischen - untergekommen sind, ist er beim Anblick einer leicht bekleideten Frau in der Öffentlichkeit überraschend befangen, wenn er sich, bis hin zur Größe ihrer Brustwarzen, vorstellen kann, wie sie ganz nackt aussieht.
    »Wenn meine Tochter so rumrennen würde, würde ich ihr den Kopf abreißen«, knurrt er, während er dem wippenden Hintern nachblickt.
    »Die Welt ist dankbar, dass du keine Tochter hast, Pete«, erwidert Benton.
    »Vor allem keine mit meinem Aussehen. Die würde wahrscheinlich als Lesbe und Profiringerin

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