Die Dämonen ruhen nicht
Sie nicht freilassen. Um ehrlich zu sein, könnte ich mir auch was Schöneres als das hier vorstellen. Meine Laune ist also nicht die beste, und ich rate Ihnen deshalb, mich nicht zu reizen. Möchten Sie sich selber was Gutes tun? Tja, Sie kennen ja den Spruch, dass man am Schluss noch sein Gewissen erleichtern sollte.«
»Nein. Was, zum Teufel, soll denn das wieder heißen?«
»Wo ist Jay Talley? Und verschonen Sie mich mit Ihren Lügen, Arschloch.«
»Ich weiß es nicht«, jammert Rocco. »Ich schwöre bei Gott.
Ich habe auch Angst vor ihm. Der Mann ist wahnsinnig. Er hält sich nicht an die Regeln, und wir alle machen einen Bogen um ihn. Der zieht sein eigenes Ding durch, Ehrenwort... Darf ich bitte eine saubere Hose anziehen? Sie können ja zuschauen. Ich will Sie nicht aufs Kreuz legen.«
Rudy steht vorm Bett und öffnet die Schranktür. Der Colt baumelt lässig in seiner Hand, was dem zunehmend verzweifelten und verängstigten Rocco zeigen soll, dass dieser Mann sich vor gar nichts fürchtet. An der Stange hängt etwa ein halbes Dutzend protziger Anzüge. Rudy zerrt eine Hose vom Bügel und wirft sie Rocco zu.
»Los.« Der Agent öffnet die Badezimmertür und setzt sich wieder aufs Bett.
Mit zitternden Knien schleppt Rocco sich ins Bad, wo er aus Hose und Unterhose schlüpft. Nachdem er beides in die Wanne geworfen hat, feuchtet er ein Handtuch mit Wasser an und wischt sich ab.
»Jay Talley«, wiederholt der Agent. »Wirklicher Name Jean-Paul Chandonne.«
»Fragen Sie mich was anderes.« Rocco meint das ernst, als er sich in einem anderen Sessel niederlässt.
»Gut. Auf Talley kommen wir später noch mal. Haben Sie vor, Ihren Vater umzulegen?« Der Blick des Agenten ist kalt. »Es ist kein Geheimnis, dass Sie ihn hassen.«
»Ich betrachte ihn nicht als Vater.«
»Das spielt keine Rolle, Rocco. Sie sind von zu Hause abgehauen und haben Ihren Namen von Marino zu Caggiano geändert. Wie sieht der Plan aus, und wer ist daran beteiligt?«
Rocco zögert eine halbe Ewigkeit, während Gedanken hinter seinen blutunterlaufenen Augen aufblitzen. Der Agent steht auf. Er atmet durch den Mund, wie um den Gestank nicht wahrnehmen zu müssen. Dann drückt er den Lauf des Colts gegen Roccos rechte Schläfe.
»Wer, was, wann und wo?«, fragt er und tippt bei jedem
Wort mit dem Pistolenlauf gegen Roccos Kopf. »Und verarschen Sie mich bloß nicht!«
»Ich wollte es selbst tun. In ein paar Monaten, wenn er zum Angeln geht. In der ersten Augustwoche fährt er immer zum Angeln an den Buggs Lake. Ich hatte vor, ihn in seiner Hütte umzunieten und einen schief gelaufenen Einbruch vorzutäuschen.«
»Also würden Sie Ihren eigenen Vater beim Angeln abknallen. Wissen Sie, was Sie sind, Rocco? Sie sind das übelste Stück Scheiße, das mir je untergekommen ist.«
33
Immer wenn Nic Robillard am Sno Depot im Zentrum von Zachary vorbeifährt, würde sie am liebsten heulen.
Heute Nacht steht die Bude, an der ein handgepinseltes Schild für Wassereis im Hörnchen wirbt, dunkel und verlassen da. Wenn Buddy dabei wäre, würde er aus dem Fenster starren und betteln, ohne sich dafür zu interessieren, dass das Sno Depot geschlossen ist und seine Mutter ihm deshalb gar kein Eis kaufen kann. Nic hat noch nie jemanden kennen gelernt, der so versessen auf Eis ist wie dieser Junge. Trotz ihrer Bemühungen, ihn von Süßigkeiten fern zu halten, fordert er jedes Mal ein Wassereis - Kirsche oder Weintraube -, wenn sie mit ihm im Auto unterwegs ist.
Zurzeit ist Buddy bei seinem Großvater in Baton Rouge, wie immer, wenn Nic bis spätabends Dienst hat, und seit ihrer Rückkehr aus Knoxville ist sie im Dauereinsatz. Scarpetta hat sie beflügelt. Der Wunsch, Scarpetta zu beeindrucken, beherrscht Nics Leben. Sie ist fest dazu entschlossen, zur Verhaftung des Serienmörders beizutragen. Das Verschwinden der Frauen hat sie in Panik versetzt, denn sie ist felsenfest davon überzeugt, dass es wieder geschehen wird, wenn man diesem
Wahnsinnigen nicht das Handwerk legt. Außerdem quälen sie Trauer und ein schlechtes Gewissen, weil sie ihren Sohn schon wieder vernachlässigt, obwohl sie erst zweieinhalb Monate lang von ihm getrennt gewesen ist.
Wenn Buddy sie irgendwann nicht mehr lieben oder auf die schiefe Bahn geraten sollte, wäre das für Nic ein Grund zum Sterben. Manchmal, wenn sie nachts endlich in ihr winziges viktorianisches Haus, gleich um die Ecke von der katholischen Kirche Johannes der Täufer in der Lee Street, zurückkehrt,
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