Die Dämonen ruhen nicht
kleine, stickige Zelle, die Edelstahltoilette steht kaulquappenförmig rechts hinten an der Wand. Die zum Tode Verurteilten sind still, mit Ausnahme von Biest. Er spricht leise mit sich selbst und flüstert fast, nicht ahnend, dass Jean-Baptiste zum Hören keine Ohren braucht. Nachts verwandelt sich Biest in das machtlose, schwache Geschöpf, das er in Wirklichkeit ist. Wenn der Giftcocktail ihn in Schlaf versetzt und er seinen hinfälligen, angeschlagenen Körper nicht mehr braucht, wird es ihm viel besser gehen.
»... halt still. Das ist doch schön, oder? Es fühlt sich so schön an. Hör auf, bitte hör auf. Hör auf! Das tut weh! Weine nicht. Das fühlt sich gut an. Verstehst du das nicht, du kleine Fotze? Es fühlt sich schön an. Ich will zu meiner Mama! Ich auch. Aber sie ist eine Hure. Und jetzt hör auf zu weinen, kapiert? Wenn du noch mal schreist...«
»Wer ist da?«, fragt Jean-Baptiste in die stinkende Luft hinein.
»Halt’s Maul! Maul halten, verdammt! Es ist deine Schuld. Du musstest ja unbedingt schreien. Obwohl ich es dir verboten habe. Tja, keinen Kaugummi mehr für dich. Zimt. Und das Papier hast du nur deshalb bei der Schaukel fallen lassen, damit ich wusste, welche Geschmacksrichtung du magst. Blöde kleine Fotze. Du bleibst jetzt hier im Schatten, okay? Ich muss weg, ich muss weg. Wie klingt das? Ich muss weg, ich muss weg, ich muss weg.« Er fängt leise an zu singen. »Ich muss weg, ich muss weg, ich muss weg-weg-weg ...«
»Wer ist da?«
»Klopf, klopf, wer ist da?«, äfft Biest ihn nach. »Haariges Hänschen, wie geht’s denn deinem Schwänzchen? Ri-ra- rutsch, die Eier, die sind futsch«, singt er ganz leise, aber man hört ihn trotzdem. »Ich bin ein Dichter, aber ein richt’ger. Ene-mene-muh, und tot bist du.«
»Wer ist da?« Jean-Baptiste bleckt die weit auseinander stehenden spitzen Zähne, leckt kräftig darüber und hat den salzigen Metallgeschmack seines eigenen Blutes im Mund.
»Nur ich, Haarmonster. Dein bester Freund. Dein einziger Freund. Du hast niemanden außer mir, wusstest du das? Bestimmt. Wer redet sonst mit dir und schickt dir Liebesbriefe von Tür zu Tür, bis sie unter deiner durchgeschoben werden, ganz schmutzig und von allen gelesen?«
Jean-Baptiste lauscht und lutscht sich das Blut aus der Zunge.
»Du hast ja eine supersupereinflussreiche Familie. Das habe ich im Radio gehört. Sogar öfter als einmal.«
Schweigen. Jean-Baptistes Ohren sind Satellitenschüsseln.
»Vi-ta-min-B. Wo sind denn die verdammten Wärter, wenn man sie mal braucht?«, spottet Biest in die Dunkelheit.
Seine hasserfüllte Stimme schwirrt wie winzige Fledermäuse durch die Eisenstäbe in Jean-Baptistes Tür. Wörter umflattern ihn, und er verscheucht sie durch ein Wedeln seiner haarigen Hand.
»Wusstest du, dass man hier drin verrückt werden kann, Haarmonster? Wenn man nicht irgendwann rauskommt, ist man so durchgeknallt wie eine Katze mit einer M40 im Arsch. Schon gewusst, Haarmonster?«
»Je ne comprends pas«, flüstert Jean-Baptiste; ein Blutstropfen rinnt ihm das Kinn entlang und versickert in seinem Babyflaum. Er tastet nach dem Blut und leckt sich den Finger ab.
»Oh, du comprendez vous ausgezeichnet. Vielleicht schieben sie dir ja auch was in den Arsch. Und dann kawumm! « Biest lacht leise auf. »Weißt du, wenn sie dich erst mal da drüben in dem Käfig haben, können sie mit dir veranstalten, was sie wollen, denn keiner erfährt es. Sobald du das Maul aufmachst, tun sie dir noch mehr weh und sagen, du wärst es selbst gewesen.«
»Wer ist da?«
»Ich habe es satt, dass du dauernd den gleichen Scheiß fragst, Minischwanz. Du weißt ganz genau, wer da ist. Ich bin es, dein Kumpel.«
Jean-Baptiste hört Biest atmen. Die Luft strömt an zwei Zellen vorbei, und Jean-Baptiste riecht Knoblauch und roten Burgunder, einen jungen Clos des Mouches, den er als dummen Wein bezeichnet, weil er noch nicht lange genug an dunklen und feuchten Orten geschlafen hat, um strahlend und weise zu werden. In der Dunkelheit wird Jean-Baptistes Zelle im Todestrakt zu seinem Weinkeller.»Aber da wäre noch etwas, mein bester und einziger Freund. Sie müssen mich in einem Laster dorthin bringen, wo sie mich fertig machen wollen. Huntsville, was für ein Name: die Stadt der Jagd. Die Fahrt dauert eine Stunde. Was ist, wenn zwischen Punkt A und Punkt B was passiert?«
Am Place Dauphin blühen die Kastanien, Azaleen und Rosen. Jean-Baptiste braucht es nicht zu sehen, nur zu riechen, um zu
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