Die Dämonen ruhen nicht
wissen, wo er ist: in der Bar du Caveau im Restaurant Paul, einem ausgezeichneten Lokal. Die anderen Menschen, die dort essen, trinken, lächeln und laut lachen oder mit eindringlicher Miene im Kerzenlicht sitzen, sind wie durch eine gläserne Wand von ihm getrennt. Einige von ihnen werden gehen und sich lieben, ohne zu ahnen, dass sie beobachtet werden. Jean-Baptiste gleitet durch die Nacht zur Spitze der Ile St.-Louis, wo sich die Lichter von Paris im Wasser der Seine spiegeln und schimmern wie feines Haar. In wenigen Minuten nähert er sich bis auf anderthalb Kilometer dem Gerichtsmedizinischen Institut.
»Nur dass ich nicht die Möglichkeit habe, was zu tun. Ich wette, du könntest es. Du könntest den Laster anhalten, wenn ich unterwegs zur Nadel bin, und dann komme ich dich holen, Haarmonster. Meine Zeit ist um. Noch drei Tage. Hast du verstanden? Drei gottverdammte Tage. Ich weiß, dass du einen Weg finden wirst. Du kannst etwas unternehmen, um mir den Arsch zu retten, und dann sind wir Partner.«
In einer Brasserie auf der Ile St.-Louis saß er in einer Ecke und starrte hinaus auf einen Balkon, wo sich die Blumentöpfe drängten. Eine Frau trat nach draußen, vielleicht, um den blauen Himmel und den Fluss zu betrachten. Sie war sehr schön, und ihre Fenster standen offen, um die frische Herbstluft hineinzulassen. Er erinnert sich, dass sie nach Lavendel roch. Das dachte er zumindest.
»Du kannst sie haben, wenn ich mit ihr fertig bin«, sagte Jay und trank einen Schluck Clos de Beze vom Weingut Domaine
Prieure Roch. Der Wein hatte einen Beigeschmack nach Räuchermandeln.
Langsam ließ Jean-Baptiste den roten Burgunder kreisen; der Wein leckte den bauchigen Glaskelch entlang wie eine warme Zunge, die langsame Kreise beschrieb.
»Mir ist klar, dass du es nötig hast.« Lachend über die Doppeldeutigkeit hob Jay sein Glas. »Aber du weißt, wie du dann wirst, mon frere .«
»Hörst du mir überhaupt zu, Haarmonster? Drei gottverdammte Tage, nur eine Woche vor dir. Ich werde dafür sorgen, dass du draußen so viele Fotzen kriegst, wie du willst. Ich bringe sie dir, solange du nichts dagegen hast, dass ich es ihnen zuerst besorge. Das kannst du ja sowieso nicht, richtig? Warum solltest du sie also nicht mit mir teilen?« Eine Pause, dann wird Biests Tonfall tückisch. »Hörst du mir zu, Haarmonster? Frei wie ein Vogel.«
»Also los«, meinte Jay mit einem Zwinkern.
Er stellte sein Weinglas ab und meinte, er werde gleich zurück sein. Jean-Baptiste, glatt rasiert und die Mütze tief ins Gesicht gezogen, dürfe mit niemandem sprechen, während Jay ... Er kann ihn nicht Jay nennen ... Jean-Paul ... während Jean- Paul weg war. Durch das Fenster sah Jean-Baptiste zu, wie sein schöner Bruder der Frau auf dem Balkon etwas zurief. Er fuchtelte mit den Händen und zeigte mit dem Finger, als brauche er eine Wegbeschreibung, während sie lächelte und schließlich über sein Gebaren lachte. Binnen weniger Minuten war sie seinem Charme erlegen und verschwand in ihrer Wohnung.
Dann saß sein Bruder, das Glückskind, wie durch Zauberhand plötzlich wieder an seinem Tisch. »Geh«, befahl er Jean- Baptiste. »Ihre Wohnung ist in der dritten Etage.« Er wies mit dem Kopf darauf. »Du wirst sie erkennen. Versteck dich, während sie und ich etwas trinken. Mit ihr wird es ein Kinderspiel. Du weißt, was du zu tun hast. Also, hau jetzt ab, und jag niemandem Angst ein.«
»Du mieses Stück behaarter Scheiße.« Biests abscheuliches Flüstern schwebt in Jean-Baptistes Zelle. »Du willst doch nicht sterben, oder? Niemand will sterben, bis auf die Leute, die wir kaltmachen, wenn sie es nicht mehr aushalten und anfangen zu betteln, richtig? Überleg mal. Frei wie ein Vogel.«
Jean-Baptiste stellt sich die Ärztin namens Scarpetta vor. Sie wird in seinen Armen einschlafen, ohne dass er auch nur einen Moment den Blick von ihr abwendet, und dann wird sie für immer bei ihm sein. Er liebkost den kurzen, mit der Schreibmaschine getippten Brief, den sie ihm geschickt hat. Darin fleht sie Jean-Baptiste an, ihn besuchen zu dürfen, und bittet ihn um seine Hilfe. Er wünscht, sie hätte den Brief mit der Hand geschrieben, damit er jede Kurve und Schwingung ihrer sinnlichen Handschrift studieren kann. Jean-Baptiste malt sich aus, wie sie nackt aussieht, und lutscht an seiner Zunge.
53
In der Ferne grollt der Donner wie eine Pauke, und am bleichen Mond wälzen sich Wolken vorbei.
Bev wird erst zum Dutch Bayou fahren, wenn der Sturm
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