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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Natur schreit ihrem Schöpfer in jedem Augenblicke zu: ›warum?‹ und erhält schon siebentausend Jahre lang keine Antwort. Soll wirklich nur Hauptmann Lebjadkin darauf antworten? Kann man diese Forderung als gerecht ansehen, gnädige Frau?«
    »Das ist lauter Unsinn und keine Antwort, wie sie sich gehört!« Warwara Petrowna war zornig geworden und hatte die Geduld verloren. »Das ist allgemeines Gerede; zudem erlauben Sie sich allzu hochfahrend zu sprechen, mein Herr, was ich für eine Dreistigkeit halte.«
    »Gnädige Frau,« redete der Hauptmann weiter, wie wenn er nicht gehört hätte, »ich würde vielleicht wünschen Erneste zu heißen, während ich genötigt bin, den plebejischen Namen Ignat zu tragen; warum? wie denken Sie darüber? Ich würde wünschen Fürst de Montbard zu heißen, während ich Lebjadkin heiße, von dem Worte
lebed
1 ; warum? Ich bin ein Dichter, gnädige Frau, ein Dichter aus tiefstem Drange der Seele, und könnte tausend Rubel von einem Verleger erhalten, während ich genötigt bin, in einem Spüleimer zu leben; warum, ja warum? Gnädige Frau! Meiner Ansicht nach ist Rußland ein Spiel der Natur, nichts weiter!«
    »Sind Sie wirklich nicht imstande, etwas mehr zur Sache Gehörendes zu sagen?«
    »Ich kann Ihnen das Gedicht ›die Schabe‹ deklamieren, gnädige Frau!«
    »Wa-a-as?«
    »Gnädige Frau, ich bin noch nicht verrückt! Ich werde einmal verrückt werden, gewiß; aber ich bin noch nicht verrückt! Gnädige Frau, ein Freund von mir, ein Mann von edelster Gesinnung, hat eine Krylowsche Fabel mit der Überschrift ›Die Schabe‹ geschrieben; darf ich sie Ihnen vortragen?«
    »Sie wollen mir eine Krylowsche Fabel vortragen?«
    »Nein, ich will Ihnen keine Krylowsche Fabel vortragen, sondern eine Fabel von mir, mein eigenes Produkt! Sie können, ohne sich selbst zu nahe zu treten, glauben, gnädige Frau, daß ich nicht dermaßen ungebildet und verkommen bin, um nicht zu wissen, daß Rußland den großen Fabeldichter Krylow besitzt, dem der Kultusminister im Sommergarten ein Denkmal errichtet hat, damit die Kinder drum herumspielen. Sie fragen ›warum‹, gnädige Frau? Die Antwort steht mit feurigen Lettern auf dem Grunde dieser Fabel geschrieben!«
    »Nun, dann tragen Sie Ihre Fabel vor!«
     
    »Eine Schabe, flach und schwärzlich,
    Lebte ohne Neid und Haß;
    Leider fiel sie (oh, wie schmerzlich!)
    In ein volles Fliegenglas.«
     
    »Was soll das heißen: ein Fliegenglas?« rief Warwara Petrowna.
    »Das heißt, wenn im Sommer,« erklärte der Hauptmann eilig unter gewaltigen Gestikulationen, mit der reizbaren Ungeduld eines Autors, den man verhindert, sein Werk vorzutragen, »wenn im Sommer die Fliegen in ein Glas hineinkriechen, so wird das ein Fliegenglas; das versteht doch jeder Dummkopf; unterbrechen Sie mich nicht; Sie werden schon sehen, Sie werden schon sehen ...« (er fuchtelte mit den Händen in der Luft umher):
     
    »Und bei Zeus erhob Beschwerde
    Alsobald der Fliegen Chor,
    Daß der Raum verengert werde,
    Der kaum ausgereicht zuvor.
    Während man sich so beklagte,
    Trat Nikifor schnell hinzu,
    Er, der edle, hochbetagte ...
     
    Weiter habe ich das Gedicht noch nicht fertig; aber das ist ganz egal, ich werde es Ihnen in Prosa sagen!« fuhr der Hauptmann fort zu schwatzen. »Nikifor nimmt das Glas und schüttet trotz alles Geschreies die ganze Komödie, Fliegen und Schabe, in den Spüleimer, was er schon längst hätte tun sollen! Aber beachten Sie das wohl, beachten Sie das wohl, gnädige Frau: die Schabe murrt nicht! Das ist die Antwort auf Ihre Frage: ›warum‹,« rief er triumphierend. » Die Schabe murrt nicht! Was aber Nikifor anlangt, so repräsentiert er die Natur,« fügte er eilig hinzu und ging selbstzufrieden im Zimmer auf und ab.
    Warwara Petrowna war wütend.
    »Gestatten Sie die Frage: was hat es für eine Bewandtnis mit dem Gelde, das Sie angeblich von Nikolai Wsewolodowitsch erhalten haben, und das Ihnen angeblich nicht vollständig ausgezahlt ist, und wegen dessen Sie eine zu meinem Hause gehörige Person zu beschuldigen gewagt haben?«
    »Verleumdung!« brüllte Lebjadkin und hob schauspielerhaft den rechten Arm in die Höhe.
    »Nein, das ist keine Verleumdung.«
    »Gnädige Frau, es gibt Umstände, die jemanden zwingen können, lieber Schande der Familie zu ertragen als laut die Wahrheit zu verkünden. Lebjadkin wird nicht mehr sagen, als er darf, gnädige Frau!«
    Er war wie ein Geblendeter; er war in Begeisterung; er fühlte seine Wichtigkeit;

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