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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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daß in den Zeiten des Moskauer Zarentums der Zar einen russischen Bojaren hatte körperlich bestrafen dürfen, und errötete, wenn er das westeuropäische Wesen dagegenhielt. Dieser hartköpfige, außerordentlich streng gesinnte Mensch, der seinen Dienst vortrefflich verstand und seine Obliegenheiten auf das genaueste erfüllte, war doch in tiefster Seele ein Träumer. Man versicherte, er könne in Versammlungen sehr gut reden und besitze die Gabe des Wortes; aber doch hatte er seine ganzen dreiunddreißig Jahre über geschwiegen. Sogar in jenem vornehmen Petersburger Kreise, in dem er in der letzten Zeit verkehrte, benahm er sich ungewöhnlich hochmütig. Als er in Petersburg mit Nikolai Wsewolodowitsch zusammentraf, der aus dem Auslande zurückgekehrt war, verlor er darüber fast den Verstand. Im gegenwärtigen Augenblicke, wo er an der Barriere stand, befand er sich in einer schrecklichen Unruhe. Er fürchtete immer, die Sache könne auf irgendeine Weise nicht zustande kommen; die geringste Verzögerung versetzte ihn in Aufregung. Eine qualvolle Empfindung prägte sich auf seinem Gesichte aus, als Kirillow, statt das Zeichen zum Kampfe zu geben, auf einmal zu reden begann, allerdings nur
pro forma,
wie er selbst sofort allen erklärte:
    »Ich spreche nur
pro forma;
beliebt es Ihnen nicht jetzt, wo Sie bereits die Pistolen in Händen haben und das Kommando gegeben werden muß, sich noch im letzten Augenblick zu versöhnen? So zu fragen ist Pflicht des Sekundanten.«
    Es kam noch ärger: Mawriki Nikolajewitsch, der bisher geschwiegen, aber seit dem vorhergehenden Tage sich wegen seiner Nachgiebigkeit Vorwürfe gemacht hatte, griff nun auch seinerseits noch Kirillows Gedanken auf und sagte ebenfalls:
    »Ich bin mit dem, was Herr Kirillow gesagt hat, vollkommen einverstanden. Der Gedanke, daß man sich an der Barriere nicht mehr versöhnen könne, ist ein Vorurteil, das man den Franzosen überlassen kann. Und nehmen Sie es nicht übel: ich verstehe auch die Beleidigung gar nicht; das wollte ich schon längst sagen. Es werden ja doch alle nur denkbaren Entschuldigungen angeboten, nicht wahr?«
    Er war ganz rot geworden. Es war ihm selten begegnet, so viel und in solcher Erregung zu sprechen.
    »Ich erkläre wiederholt, daß ich erbötig bin, in jeder nur möglichen Weise um Entschuldigung zu bitten,« fiel Nikolai Wsewolodowitsch mit großer Eilfertigkeit ein.
    »Ist denn das überhaupt möglich?« schrie, zu Mawriki Nikolajewitsch gewendet, Gaganow wütend und stampfte außer sich mit dem Fuße. »Setzen Sie, Mawriki Nikolajewitsch, wenn Sie mein Sekundant und nicht mein Feind sind, diesem Menschen« (er wies mit der Pistole nach Nikolai Wsewolodowitsch hin) »doch auseinander, daß durch eine solche Nachgiebigkeit die Beleidigung nur noch vergrößert wird! Er hält es für unmöglich, von mir beleidigt zu werden! ... Er findet keine Schande darin, von mir wegzugehen, wenn wir schon an der Barriere stehen! Was müssen Sie denn bei einem solchen Benehmen glauben, wofür er mich hält? ... Und Sie sind noch dazu mein Sekundant! Sie regen mich nur auf, damit ich nicht treffe!«
    Er stampfte wieder mit dem Fuße; der Speichel spritzte ihm von den Lippen.
    »Die Unterhandlungen sind beendet. Ich bitte, auf das Kommando zu hören!« rief Kirillow, so laut er konnte. »Eins, zwei, drei!«
    Bei dem Worte »drei« gingen die Gegner aufeinander los. Gaganow hob sogleich die Pistole in die Höhe und schoß beim fünften oder sechsten Schritte. Eine Sekunde lang blieb er stehen, und als er sich überzeugt hatte, daß er gefehlt hatte, ging er schnell an die Barriere vor. Auch Nikolai Wsewolodowitsch ging näher, hob die Pistole, aber sehr hoch, und schoß fast ohne zu zielen. Dann zog er sein Taschentuch heraus und umwickelte damit den kleinen Finger der rechten Hand. Erst jetzt wurde deutlich, daß Artemi Petrowitsch nicht vollständig vorbeigeschossen hatte; aber seine Kugel hatte nur den Finger am fleischigen Teile des Gelenkes gestreift, ohne den Knochen zu berühren; es war nur eine unbedeutende Schramme entstanden. Kirillow erklärte sogleich, wenn die Gegner noch nicht befriedigt seien, so nehme das Duell seinen Fortgang.
    »Ich mache darauf aufmerksam,« rief Gaganow mit heiserer Stimme (die Kehle war ihm ganz ausgetrocknet), indem er sich wieder an Mawriki Nikolajewitsch wandte, »daß dieser Mensch« (er wies wieder auf Stawrogin hin) »absichtlich in die Luft geschossen hat ... mit Vorbedacht ... Das ist eine neue

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