Die Dämonen
Wochen war dort ein Arbeiter an der asiatischen Cholera erkrankt und gestorben; darauf waren noch mehrere andere ebenfalls erkrankt. In der Stadt bekamen es alle mit der Angst, weil die Cholera aus dem Nachbargouvernement im Anrücken war. Ich bemerke, daß bei uns nach Möglichkeit geeignete sanitäre Maßregeln ergriffen waren, um dem ungebetenen Gaste entgegenzutreten. Aber die Schpigulinsche Fabrik, deren Besitzer Millionäre waren und vorzügliche Konnexionen besaßen, hatte man eigentümlicherweise übergangen. Nun erhob sich auf einmal ein allgemeines Geschrei, gerade dort sei ein geheimer Herd, eine Brutstätte der Krankheit; in der Fabrik selbst und ganz besonders in den Arbeiterwohnungen herrsche von jeher eine solche Unreinlichkeit, daß, wenn die Cholera nicht schon verbreitet wäre, sie dort von selbst entstehen müßte. Natürlich ergingen nun sofort die erforderlichen Anordnungen, und Andrei Antonowitsch bestand energisch auf ihrer unverzüglichen Ausführung. Die Fabrik wurde drei Wochen lang gereinigt; aber die Gebrüder Schpigulin schlossen dieselbe nun aus unbekanntem Grunde. Der eine von ihnen lebte beständig in Petersburg, und der andere reiste nach der behördlichen Verfügung über die Reinigung nach Moskau. Der Direktor schritt dazu, die Arbeiter abzulohnen, und betrog sie dabei, wie sich jetzt herausstellt, auf eine schamlose Weise. Die Arbeiter fingen an zu murren; sie verlangten eine gerechte Entlohnung und gingen in ihrer Dummheit zur Polizei, übrigens ohne viel Geschrei und noch ohne besondere Aufregung. Und gerade in dieser Zeit waren von dem Direktor die Proklamationen an Andrei Antonowitsch abgeliefert worden.
Peter Stepanowitsch kam in seiner Eigenschaft als guter Freund und als Angehöriger des Hauses und überdies als Julija Michailownas Beauftragter unangemeldet in das Arbeitszimmer hereingelaufen. Als v. Lembke ihn erblickte, runzelte er finster die Stirn und blieb unhöflich am Tische stehen. Bis dahin war er im Zimmer auf und ab gegangen und hatte über irgendwelchen Gegenstand eine intime Unterredung mit einem Beamten seiner Kanzlei, namens Blümer, gehabt, einem sehr unbeholfenen, mürrischen Deutschen, den er trotz heftigster Opposition von seiten Julija Michailownas aus Petersburg mitgebracht hatte. Der Beamte machte bei Peter Stepanowitschs Eintritt einige Schritte nach der Tür zu, ging aber nicht hinaus. Dem Eintretenden schien es sogar, als ob Blümer mit seinem Vorgesetzten einen bedeutsamen Blick wechselte.
»Oho! Da habe ich Sie einmal abgefaßt, Sie geheimnisvoller hoher Chef!« rief Peter Stepanowitsch lachend und legte die flache Hand auf eine Proklamation, die auf dem Tische lag. »Damit vergrößern Sie wohl Ihre Sammlung, wie?«
Andrei Antonowitsch wurde dunkelrot, und sein Gesicht verzerrte sich.
»Lassen Sie das liegen! Nehmen Sie sofort die Hand weg!« schrie er, vor Zorn zitternd. »Und unterstehen Sie sich nicht, mein Herr ...«
»Was haben Sie denn? Sie scheinen böse zu sein?«
»Ich muß Ihnen bemerken, mein Herr, daß ich durchaus nicht willens bin, Ihre Ungeniertheit künftighin zu dulden; ich bitte Sie, sich das zu merken ...«
»Pfui Teufel! Er ist ja wirklich ganz grimmig!«
»Schweigen Sie, schweigen Sie!« rief v. Lembke und stampfte mit den Füßen auf den Teppich. »Und erdreisten Sie sich nicht ...«
Gott weiß, wie weit die Sache noch gegangen wäre. Leider war da außer allem andern noch ein Umstand, von dem weder Peter Stepanowitsch noch auch Julija Michailowna Kenntnis hatten. Der unglückliche Andrei Antonowitsch war in seiner geistigen Zerrüttung in den letzten Tagen schon dahin gelangt, im stillen wegen seiner Frau auf Peter Stepanowitsch eifersüchtig zu sein. Wenn er allein war, namentlich nachts, hatte er Augenblicke, wo ihn eine sehr unangenehme Empfindung peinigte.
»Und ich hatte gedacht, wenn einer einem andern zwei Tage hintereinander bis nach Mitternacht im Tete-a-Tete seinen Roman vorliest und dessen Urteil zu hören verlangt, dann hat er doch wenigstens für seine Person sich von diesen äußeren Förmlichkeiten freigemacht. Julija Michailowna empfängt mich ohne alle Umstände; wie soll man sich da Ihr eigenes Verhalten erklären?« sagte Peter Stepanowitsch mit einer Art von würdigem Ernst. »Apropos, hier ist auch Ihr Roman,« fuhr er fort und legte ein großes, schweres, zusammengerolltes, fest in blaues Papier gewickeltes Heft auf den Tisch.
Lembke wurde rot und fing an zu stottern.
»Wo haben Sie ihn denn
Weitere Kostenlose Bücher