Die Dämonen
gebracht. Peter Stepanowitsch machte sich mit großem Appetit über das Kotelett her, aß es im Handumdrehen auf, trank den Wein aus und schlürfte den Kaffee.
»Dieser Grobian,« dachte Karmasinow, indem er ihn von der Seite betrachtete und dabei von seinem eigenen Frühstück den letzten Bissen aß und das letzte Schlückchen trank, »dieser Grobian hat wahrscheinlich die Stichelei, die in meiner Bemerkung lag, sofort vollständig verstanden ... und auch das Manuskript hat er gewiß begierig durchgelesen und lügt jetzt nur in besonderer Absicht. Möglich aber auch, daß er nicht lügt, sondern ganz ohne Verstellung dumm ist. Ich habe es gern, wenn ein genialer Mensch ein bißchen dumm ist. Und ob die Stadt nicht wirklich an ihm ein Genie besitzt? Hol ihn übrigens der Teufel!«
Er stand vom Sofa auf und begann im Zimmer von einer Ecke nach der andern auf und ab zu gehen, um sich Bewegung zu machen, was er jeden Tag nach dem Frühstück tat.
»Werden Sie die Stadt bald wieder verlassen?« fragte Peter Stepanowitsch von seinem Lehnsessel aus, nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte.
»Ich bin eigentlich hergekommen, um ein Gut zu verkaufen, und hänge jetzt von meinem Verwalter ab.«
»Sie sind ja doch, wie es scheint, hergekommen, weil man dort im Auslande nach dem Kriege eine Epidemie befürchtete?«
»N-nein, doch nicht ganz deswegen,« fuhr Herr Karmasinow fort, indem er in vornehmer Weise die Silben voneinander trennte und bei jeder Umdrehung von einer Ecke nach der andern forsch mit dem rechten Beine schlenkerte, übrigens nur ein ganz klein wenig. »Ich beabsichtige tatsächlich,« sagte er mit einem Lächeln, das nicht frei von Bosheit war, »möglichst lange zu leben. Die russischen Adligen nutzen sich außerordentlich schnell ab, in jeder Beziehung. Aber ich möchte mich möglichst spät abnutzen und werde daher jetzt ganz und gar ins Ausland übersiedeln; dort ist das Klima besser, und die Häuser und Staaten sind aus Stein gebaut und fester als bei uns. Solange ich lebe, wird Westeuropa wohl vorhalten, meine ich. Wie denken Sie darüber?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Hm ... Wenn es da wirklich dazu kommt, daß Babel zusammenbricht und sein Fall ein großer wird (worin ich mit Ihnen vollständig einer Meinung bin, wiewohl ich glaube, daß es noch so lange, wie ich lebe, vorhalten wird), so ist bei uns in Rußland überhaupt nichts vorhanden, was zusammenstürzen könnte, relativ gesprochen. Bei uns werden nicht Steine zusammenstürzen, sondern alles wird in Schmutz zerfließen. Weniger als irgendein anderes Land auf der Welt ist das heilige Rußland in der Lage, einem Stoße Widerstand zu leisten. Das einfache Volk hält sich noch so zur Not durch den russischen Gott aufrecht; aber der russische Gott ist nach den letzten Erfahrungen sehr unzuverlässig und hat sogar der bäuerlichen Reform gegenüber kaum standgehalten; wenigstens hat er stark gewackelt. Und dazu kommen noch die Eisenbahnen und Ihre Tätigkeit ... an den russischen Gott glaube ich überhaupt nicht mehr.«
»Aber an den westeuropäischen?«
»Ich glaube an keinen. Man hat mich bei der russischen Jugend verleumdet. Ich habe immer mit allen Bestrebungen derselben sympathisiert. Man hat mir die hiesigen Proklamationen gezeigt. Man sieht sie mit verständnislosem Staunen an, weil alle Leute ihre Form erschreckt; aber doch sind alle Leute von der Macht derselben überzeugt, wenn sie es auch nicht eingestehen. Alle Leute sind hier schon längst dem Fallen nahe, und alle wissen längst, daß sie sich an nichts halten können. Ich bin schon deswegen von dem Erfolge dieser geheimen Propaganda überzeugt, weil gerade Rußland jetzt auf der ganzen Welt dasjenige Land ist, wo man alles Beliebige tun kann, ohne den geringsten Widerstand zu finden. Ich verstehe sehr wohl, warum die vermögenden Russen alle nach dem Auslande geströmt sind und dies von Jahr zu Jahr in größerem Umfange tun. Das ist ganz einfach Instinkt. Wenn ein Schiff untergeht, so sind die Ratten die ersten, die aus ihm auswandern. Das heilige Rußland ist sozusagen ein hölzernes Land, ein armes Land und ... ein gefährliches Land, ein Land eitler Bettler in seinen höchsten Schichten; aber die überwältigende Mehrzahl hockt abwartend in elenden Hütten. Das russische Volk freut sich über jede Möglichkeit, aus dieser Lage herauszukommen; man braucht sie ihm nur klarzumachen. Nur die Regierung will noch Widerstand leisten; aber sie schlägt im Dunkeln mit
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