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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Morgen weg und kam erst spät abends wieder nach Hause. Die Frau, die ungefähr vierzig Jahre alt sein mochte, pflegte alte Kleidungsstücke aufzutrennen und zu neuen umzuarbeiten und ging ebenfalls nicht selten aus dem Hause, um die fertige Arbeit wegzutragen. Ich blieb dann allein mit der Tochter der beiden, die noch ganz wie ein Kind aussah. Sie hieß Matroscha. Die Mutter liebte sie, schlug sie aber oft und schrie sie nach Art solcher Weiber heftig an. Dieses Mädchen hatte bei mir die Bedienung zu besorgen und räumte in meinem Zimmer hinter dem Wandschirm auf. Ich erkläre, daß ich die Nummer des Hauses vergessen habe. Jetzt weiß ich auf Grund eingezogener Erkundigungen, daß das alte Haus abgebrochen ist und an Stelle zweier oder dreier früherer Häuser ein neues sehr großes steht. Ebenso habe ich den Familiennamen meiner kleinbürgerlichen Wirtsleute vergessen (vielleicht habe ich ihn auch damals gar nicht gewußt). Ich erinnere mich nur, daß die Wirtin Stepanida und weiter (wie ich glaube) Michailowna hieß. Auf den Namen des Mannes kann ich mich nicht besinnen. Ich nehme an, daß, wenn man eifrig suchen und nach Möglichkeit Nachforschungen bei der Petersburger Polizei anstellen wollte, sich die Spuren der Leute noch würden finden lassen. Die Wohnung lag auf dem Hofe, in einer Ecke. Alles, was ich hier berichte, begab sich im Juni. Das Haus war von hellblauer Farbe.
    Eines Tages verschwand von meinem Nachttische ein Federmesser, das ich überhaupt nicht notwendig gebrauchte, und das nur so herumgelegen hatte. Ich sagte es der Wirtin, ohne irgendwie daran zu denken, daß sie die Tochter dafür durchhauen werde. Aber die hatte kurz vorher Matroscha wegen eines abhanden gekommenen Läppchens angefahren, weil sie sie im Verdacht hatte, es entwendet zu haben, und hatte sie sogar an den Haaren gerissen. Als aber dieses selbe Läppchen sich unter dem Tischtuche gefunden hatte, da hatte das Mädchen kein Wort des Vorwurfs gegen die Mutter gesagt und schweigend vor sich hingeblickt. Ich hatte das bemerkt und damals zum ersten Male das Gesicht des Mädchens genauer betrachtet; bis dahin hatte ich es immer nur flüchtig gesehen. Matroscha war hellblond und sommersprossig; ihr Gesicht war von gewöhnlichem Schnitt, hatte aber sehr viel Kindliches und Stilles, außerordentlich Stilles. Der Mutter hatte es mißfallen, daß die Tochter ihr wegen der unverdienten Bestrafung keine Vorwürfe machte, und sie hatte mit der Faust gegen sie ausgeholt, aber nicht zugeschlagen. Und nun kam gerade der Vorfall mit meinem Federmesser hinzu. In der Tat war außer uns dreien niemand dagewesen, und zu mir hinter den Wandschirm kam überhaupt nur das Mädchen. Die Frau wurde wütend, weil sie das Kind das erstemal ungerechterweise gestraft hatte, stürzte zum Besen hin, riß aus ihm ein paar Ruten heraus und peitschte damit das Mädchen vor meinen Augen blutig, obwohl sie schon fast zwölf Jahre alt war. Matroscha schrie während der Züchtigung nicht, wahrscheinlich, weil ich zugegen war; aber sie schluchzte bei jedem Schlage in einer seltsamen Weise. Auch nachher schluchzte sie eine ganze Stunde lang heftig.
    Aber vorher hatte sich folgendes zugetragen. Gerade in dem Augenblicke, als die Wirtin zu dem Besen hinstürzte, um ein paar Ruten herauszureißen, fand ich das Federmesser auf meinem Bette, wohin es durch irgendwelchen Zufall vom Nachttische gefallen war. Es schoß mir sofort der Gedanke durch den Kopf, nichts davon zu sagen, damit Matroscha die ihr zugedachten Hiebe erhielte. Mein Entschluß war in einem Augenblick gefaßt; in solcher Situation stockt mir immer der Atem. Aber ich beabsichtige, alles in bestimmteren Ausdrücken zu erzählen, damit nichts mehr verborgen bleibt.
    Jede besonders schmachvolle, maßlos demütigende, gemeine und vor allem lächerliche Lage, in die ich in meinem Leben geraten bin, hat bei mir immer nicht nur einen maßlosen Zorn erregt, sondern mir auch einen unglaublichen Genuß bereitet. Ganz dasselbe war der Fall in Augenblicken, wo ich ein Verbrechen beging, und in Augenblicken, wo ich mich in Lebensgefahr befand. Wenn ich etwas gestohlen hätte, so würde ich bei der Ausführung des Diebstahls eine Art von Berauschtheit infolge des Bewußtseins einer schändlichen Gemeinheit empfunden haben. Was ich liebte, war nicht die Gemeinheit (meine Urteilskraft blieb dabei vollkommen heil und gesund), sondern es gefiel mir die Berauschtheit, die durch das qualvolle Bewußtsein meiner Verworfenheit

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