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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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sich ans Kreuz schlagen lassen; ohne sie wollen die Völker nicht leben, und ohne sie können sie nicht einmal sterben. Und dieses ganze Gefühl durchlebte ich in diesem Traume; ich weiß nicht, was mir eigentlich träumte; aber die Felsen und das Meer und die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne, das alles glaubte ich noch zu sehen, als ich erwachte und die Augen öffnete, die mir zum ersten Mal in meinem Leben tatsächlich von Tränen feucht waren. Das Gefühl einer mir bisher unbekannten Glückseligkeit zog durch mein ganzes Herz, das davon ordentlich einen Schmerz empfand. Es war schon ganz Abend geworden; in das Fenster meines kleinen Zimmers drang durch die Blätter der auf dem Fensterbrette stehenden Blumen ein ganzes Bündel heller, schräger Strahlen der untergehenden Sonne und übergoß mich mit Licht. Ich schloß schleunigst die Augen wieder, wie in dem heißen Verlangen, den entschwundenen Traum wieder zurückzurufen; aber auf einmal glaubte ich mitten in dem hellen, hellen Lichte einen winzigen Punkt zu sehen. Dieser Punkt nahm plötzlich Gestalt an, und auf einmal stand mir in aller Deutlichkeit eine winzige rote Spinne vor Augen. Ich erinnerte mich sofort des Tierchens auf dem Geraniumblatte, als die Strahlen der untergehenden Sonne in derselben Weise ins Zimmer drangen. Es war mir, als ob ich einen Stich bekäme; ich richtete mich auf und setzte mich auf dem Bette hin ...
    (So begab sich das alles damals!)
    Ich sah sie vor mir! (Oh, nicht mit wirklichen Augen! Wäre es doch eine richtige Vision gewesen!) Ich sah Matroscha, abgemagert und mit fieberhaft brennenden Augen, genau so wie damals, als sie bei mir auf der Schwelle stand, mir mit dem Kopfe zunickte und ihre kleine Faust gegen mich erhob. Und nie ist mir etwas so qualvoll erschienen! Die jammervolle Verzweiflung eines hilflosen Wesens mit unentwickeltem Verstande, das mir drohte (womit? was konnte sie mir tun, o Gott!), dabei aber doch nur sich selbst die Schuld beimaß! Noch nie war mir etwas Ähnliches begegnet. Ich saß so bis zur Nacht, ohne mich zu bewegen und ohne auf die Zeit zu achten. Ob man das Gewissensbisse oder Reue nennt, weiß ich nicht und könnte ich bis auf den heutigen Tag nicht sagen. Unerträglich ist mir aber nur dieses eine Bild, Matroscha auf der Schwelle mit der drohend gegen mich erhobenen kleinen Faust, nur diese ihre damalige Erscheinung, nur der damalige Augenblick, nur das Nicken mit dem Kopfe. Das, gerade das ist es, was ich nicht ertragen kann, und es tritt mir seitdem fast täglich vor Augen. Es tritt mir nicht von selbst vor Augen, sondern ich selbst rufe es hervor und muß es hervorrufen, obgleich es mir das Leben zur Qual macht. O, wenn ich sie doch nur einmal mit wirklichen Augen sehen könnte, sei es auch nur in einer Halluzination!
    Warum erregt denn keine der anderen Erinnerungen meines Lebens bei mir eine ähnliche Empfindung? Und doch hatte ich viele solcher Erinnerungen, vielleicht sogar solche, die ein Gerichtshof von Menschen noch für weit schlimmer erachten würde. Aber sie erwecken bei mir höchstens Haß, und auch der wird nur durch meine jetzige Lage hervorgerufen, während ich früher all so etwas kaltblütig vergaß und von mir wies.
    Ich zog nachher fast ein ganzes Jahr lang wie ein Nomade umher und suchte mich zu beschäftigen. Ich weiß, daß ich auch jetzt imstande wäre, Matroscha von mir fernzuhalten, wenn ich es wollte. Ich bin wie früher vollständig Herr meines Willens. Aber die Sache ist eben die, daß ich selbst es nie habe tun wollen, es nicht tun will und nicht werde tun wollen. Und so wird das bleiben, bis ich einmal den Verstand verliere.
    In der Schweiz machte ich zwei Monate darauf einen Anfall derselben Leidenschaft mit einem ebenso wilden Ausbruche durch, wie das nur früher in der ersten Zeit der Fall gewesen war. Ich fühlte eine furchtbare Versuchung zu einem neuen Verbrechen, nämlich Bigamie zu begehen (denn ich war schon verheiratet); aber ich entfloh der Versuchung auf den Rat eines anderen jungen Mädchens, dem ich fast alles gestand und sogar, daß ich diejenige, die ich so sehr begehrte, gar nicht liebte, und daß ich nie jemand wirklich lieben könne. – Zudem würde dieses neue Verbrechen mich niemals von Matroscha befreit haben.
    So habe ich mich denn entschlossen, diese Bogen drucken zu lassen und sie in dreihundert Exemplaren in Rußland einzuführen; sobald der richtige Zeitpunkt gekommen sein wird, werde ich sie der Polizei und der lokalen Obrigkeit

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