Die Dämonen
Küsse begaben sich in anderer Weise als bei der ganzen übrigen Menschheit. Da mußte unfehlbar ringsumher Ginster wachsen (unfehlbar Ginster oder ein anderes derartiges Kraut, das man erst in der Botanik nachschlagen muß). Außerdem mußte der Himmel unfehlbar eine Art von violetter Färbung haben, die allerdings noch nie ein anderer Sterblicher beobachtet hat, das heißt, es haben sie zwar alle gesehen, aber nicht verstanden, sie zu beobachten, und da sagte er nun gewissermaßen: »Ich habe sie genau beobachtet und schildere sie nun euch Dummköpfen wie etwas ganz Gewöhnliches.« Der Baum, unter dem das interessante Paar saß, mußte unfehlbar eine Art Orangenfarbe haben. Sie sitzen irgendwo in Deutschland. Auf einmal sehen sie Pompejus oder Cassius am Vorabend einer Schlacht, und beide überläuft ein kalter Schauer des Entzückens. Eine Waldnymphe quiekt im Gebüsch. Gluck spielt im Röhricht auf der Geige. Das Stück, das er spielt, heißt
En toutes lettres,
ist aber niemandem bekannt, so daß man darüber ein musikalisches Nachschlagewerk befragen muß. Inzwischen hat sich ein Nebel zusammengeballt, so zusammengeballt, so zusammengeballt, daß er mehr einer Million von Kissen als einem Nebel gleicht. Und plötzlich verschwindet alles, und das große Genie setzt im Winter bei Tauwetter über die Wolga. Das Übersetzen dauert zwei und eine halbe Seite lang; aber dennoch fällt das Genie in eine Wuhne. Das Genie geht unter, – man denkt, es ertrinkt? Fällt ihm nicht ein: das alles hat nur den Zweck, daß, wenn das Genie schon ganz untergegangen ist und Wasser geschluckt hat, vor ihm ein Eisstückchen aufschimmert, ein winziges Eisstückchen, nur erbsengroß, aber rein und durchsichtig »wie eine gefrorene Träne«, und in diesem Eisstückchen spiegelt sich Deutschland wider oder, richtiger gesagt, der Himmel Deutschlands, und diese Widerspiegelung ruft durch ihr regenbogenartiges Farbenspiel dem Genie eben jene Träne ins Gedächtnis zurück: »›Erinnerst du dich wohl, sie rann aus deinem Auge, als wir unter dem smaragdenen Baume saßen und du freudig ausriefst: Es gibt kein Verbrechen!‹ ›Ja,‹ sagte ich unter Tränen, ›aber wenn dem so ist, dann gibt es ja auch gar keine Gerechten.‹ Wir schluchzten und trennten uns für immer.« Sie begibt sich irgendwohin an das Gestade des Meeres, er in eine Höhle; und da steigt er hinab, immer tiefer hinab, drei Jahre lang steigt er in Moskau unter dem Sucharew-Turme immer tiefer hinab, und auf einmal findet er in den innersten Eingeweiden der Erde in einer Höhle ein vor einem Heiligenbilde brennendes Lämpchen und vor dem Lämpchen einen Asketen. Der Asket betet. Das Genie drückt sich an ein kleines vergittertes Fensterchen und hört auf einmal einen Seufzer. Man denkt wohl, daß der Asket geseufzt hat? Mag sein; aber was schert sich das Genie um den Asketen! Bei diesem Seufzer erinnert es sich ganz einfach an den ersten Seufzer jenes weiblichen Wesens vor dreißig Jahren: »›Du erinnerst dich, es war in Deutschland; wir saßen unter dem achatfarbenen Baume, und du sagtest zu mir: Wozu liebt man? Siehe, ringsumher wächst Ocker, und ich liebe; aber der Ocker wird aufhören zu wachsen, und ich werde aufhören zu lieben.‹ Da ballte sich wieder der Nebel zusammen, es zeigte sich Theodor Amadeus Hoffmann, eine Waldnymphe pfiff eine Chopinsche Melodie, und plötzlich erschien aus dem Nebel, mit einem Lorbeerkranze auf dem Haupte, über den Dächern Roms Ancus Marcius. Ein Wonneschauer ging uns über den Rücken, und wir trennten uns für immer«, und so weiter und so weiter. Kurz, ich gebe es vielleicht nicht ganz richtig wieder und verstehe auch nicht, das zu tun; aber der Sinn des Geredes war ganz von dieser Art. Und schließlich, welch eine schmähliche Passion für »elegante Witze« findet sich bei unsern großen Geistern! Die großen westeuropäischen Philosophen, die großen Gelehrten und Erfinder, die Sklaven der Arbeit und Märtyrer, all diese Mühseligen und Beladenen sind für unser großes russisches Genie nur eine Art von Köchen in seiner Küche. Er ist der Herr, und sie erscheinen vor ihm mit der Mütze in der Hand und erwarten seine Befehle. Allerdings lacht er auch über Rußland hochmütig, und nichts macht ihm größeres Vergnügen als vor den Ohren der großen Geister Westeuropas zu erklären, daß Rußland in jeder Hinsicht bankerott sei; aber was ihn selbst anlangt, nein, er ist über diese großen Geister Westeuropas schon weit
Weitere Kostenlose Bücher