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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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sich solche Leute doch manchmal unsicher. Übrigens hätte der Seminarist sich nicht unsicher gefühlt; aber Liputin gehörte noch zur älteren Generation.
    »Ich sage im voraus, das heißt, ich habe die Ehre im voraus zu sagen, daß dies nicht etwa eine Ode ist, wie sie früher für Feste geschrieben wurden, sondern sozusagen beinahe ein Scherz, aber voll unzweifelhaften Gefühles, das sich mit spaßhafter Heiterkeit vereinigt, und voll sehr realistischer Wahrheit.«
    »Vorlesen, vorlesen!« Selbstverständlich konnte ihn niemand daran hindern. Überdies war er mit seiner Festordnerschleife aufgetreten. Mit helltönender Stimme deklamierte er:
     
    »Der vaterländischen Gouvernante der hiesigen Gegenden von einem Dichter zum Feste gewidmet.
     
    ›Sei gegrüßt uns, arme Gouvernante!‹
    Rufen alle wir unisono!
    Ob man deinen Wert auch oft verkannte,
    Heute sei fidel und juble froh!«
     
    »Das ist von Lebjadkin! Wirklich, von Lebjadkin!« erschollen mehrere Stimmen.
    Gelächter ließ sich vernehmen; es wurde sogar applaudiert, wiewohl nicht von vielen.
     
    »Kinder lehrst französisch du parlieren,
    Wischst die rotz'gen Nasen ihnen rein,
    Und du würdest dich gewiß nicht zieren,
    Wollt' ein Kirchendiener um dich frei'n.«
     
    »Hurra, hurra!«
     
    »Doch in dieser Zeit voll Not und Jammer
    Führt dich auch ein Kirchendiener nicht
    Als sein Ehweib in die Hochzeitskammer,
    Wenn es an Moneten dir gebricht.«
     
    »Sehr richtig, sehr richtig! Das ist der echte Realismus! Ohne Moneten ist nichts anzufangen!«
     
    »Aber heute wird es uns gelingen,
    Schmausend, tanzend hier in diesem Saal,
    Gouvernante, für dich aufzubringen,
    Was du brauchst, ein tücht'ges Kapital.
     
    Mit 'ner Mitgift kann dir's dann nicht fehlen;
    Man bewirbt sich stark um deine Hand;
    Wirst im Handumdrehen dich vermählen,
    Und dann spuck auf deinen früh'ren Stand!«
     
    Ich muß gestehen, ich traute meinen Ohren nicht. Dies war eine so offenkundige Frechheit, daß keine Möglichkeit blieb, Liputin auch nur mit Dummheit zu entschuldigen. Und Liputin war überhaupt nicht dumm. Die Absicht war klar, wenigstens für mich: es sollte so bald wie möglich alles in Unordnung gebracht werden. Einige Verse dieses verrückten Gedichtes, zum Beispiel der letzte, waren derartig, daß keine Dummheit sie entschuldigen konnte. Liputin schien auch selbst die Empfindung zu haben, daß er mit der Ausführung dieser seiner Heldentat zu weit gegangen sei; er bekam einen solchen Schreck über seine eigene Dreistigkeit, daß er nicht einmal von der Estrade herunterging, sondern stehen blieb, wie wenn er noch etwas hinzufügen wollte. Er hatte sicherlich angenommen, daß die Sache einen anderen Ausgang nehmen werde; aber selbst das Häuschen von Tumultuanten, das während der Ausführung des schändlichen Streiches applaudiert hatte, schwieg auf einmal, wie wenn es selbst erschrocken wäre. Das Allerdümmste war, daß viele von ihnen das ganze Gedicht zunächst als echtes Pathos aufgefaßt hatten, das heißt, nicht als ein Pasquill, sondern tatsächlich als wirkliche Wahrheit über die Gouvernanten, als eine tendenziöse Dichtung. Aber die übermäßige Ungeniertheit des Ausdrucks machte schließlich auch sie stutzig. Was nun das gesamte Publikum anlangt, so fühlte sich der ganze Saal nicht nur unangenehm berührt, sondern offensichtlich beleidigt. Ich irre mich nicht, wenn ich dies als die allgemeine Empfindung bezeichne. Julija Michailowna sagte später, sie sei nahe daran gewesen, in Ohnmacht zu fallen. Einer der achtungswertesten alten Herren veranlaßte seine Gattin aufzustehen, und beide verließen, von den aufgeregten Blicken des Publikums begleitet, den Saal. Wer weiß, vielleicht hätte dieses Beispiel noch manchen zur Nachahmung bewogen, wenn nicht in diesem Augenblicke Karmasinow selbst auf der Estrade erschienen wäre, in Frack und weißer Binde und mit einem Hefte in der Hand. Julija Michailowna richtete einen Blick voll Entzücken auf ihn wie auf einen Retter ... Ich aber war schon hinter den Kulissen; ich mußte mit Liputin sprechen.
    »Das haben Sie mit Absicht getan!« sagte ich und ergriff ihn empört am Arme.
    »Ich habe mir, weiß Gott, nichts dabei gedacht,« erwiderte er sofort, indem er sich zusammenkrümmte; er log und spielte den Unglücklichen. »Die Verse waren soeben gebracht worden, und ich dachte, daß sie als ein heiterer Scherz ...«
    »Das haben Sie gar nicht gedacht. Halten Sie denn dieses abgeschmackte Zeug wirklich für

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