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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Ich erkläre im voraus: ich verbeuge mich respektvoll vor der Größe eines Genies; aber warum benehmen sich denn diese Herren, unsere Genies, am Ende ihrer ruhmvollen Jahre manchmal vollständig wie kleine Knaben? Was hatte es für Sinn und Verstand, daß Karmasinow mit einer Grandezza auftrat, die für fünf Kammerherrn ausgereicht hätte? Kann man denn das Interesse eines solchen Publikums, wie es das unsrige ist, für einen einzigen Gegenstand eine ganze Stunde lang rege erhalten? Und dann habe ich allgemein die Beobachtung gemacht, daß selbst ein großes Genie bei einer öffentlichen, populären literarischen Vorlesung das Publikum nicht länger als zwanzig Minuten ungestraft mit seiner eigenen Persönlichkeit beschäftigen kann. Allerdings wurde das Auftreten des großen Genies in höchst respektvoller Weise begrüßt: sogar die strengsten alten Herren gaben ihr Wohlgefallen und ihr Interesse zu erkennen und die Damen sogar ein gewisses Entzücken. Das Händeklatschen indes war nur von kurzer Dauer und sozusagen uneinheitlich und verwirrt. Dafür wurde in den hinteren Reihen bis zu dem Augenblicke, wo Herr Karmasinow zu sprechen anfing, keine einzige Ausschreitung begangen, und auch dann geschah fast nichts besonders Schlimmes; es war, als sei man dort im unklaren. Ich habe schon früher erwähnt, daß er eine sehr kreischende, sogar einigermaßen weibische Stimme hatte und außerdem in echt vornehmer, adliger Manier lispelte. Kaum hatte er ein paar Worte gesprochen, als sich plötzlich jemand erlaubte laut zu lachen, wahrscheinlich irgendein unerfahrener Dummkopf, der noch nichts von der Welt kannte und obendrein eine angeborene Lachsucht besaß. Aber es fand nicht die geringste Demonstration statt; im Gegenteil zischte man dem Dummkopf zu, und er versank in ein Nichts. Aber nun erklärte Herr Karmasinow in affektierter Weise, er habe anfänglich sich um keinen Preis dazu verstehen wollen, zu lesen (es war auch wohl sehr nötig, dies zu erklären!). Es gebe Gedanken, die dermaßen aus dem tiefsten Herzen quöllen, daß man sie nicht einmal mit Worten aussprechen dürfe, so daß es in keiner Weise zulässig sei, sie vor das Publikum zu bringen (nun, warum tat er es dann trotzdem?); aber da man ihn dringend gebeten habe, so habe er nachgegeben, und da er überdies die Feder für immer niederlegen wolle und sich geschworen habe, künftig um keinen Preis mehr etwas zu schreiben, so habe er nun in Gottes Namen diese letzte Schrift verfaßt; und da er sich geschworen habe, um keinen Preis künftig jemals wieder etwas dem Publikum vorzulesen, so wolle er nun in Gottes Namen dieses letzte Werk noch dem Publikum vorlesen, und so weiter und so weiter, alles in dieser Art.
    Aber alles das wäre noch nichts gewesen, und wer kennt nicht die Vorreden der Autoren? Wiewohl ich bemerke: bei der geringen Bildung unseres Publikums und bei der Reizbarkeit der hinteren Reihen konnte dies alles eine unerwünschte Wirkung ausüben. Wäre es nicht besser gewesen, eine kleine Novelle vorzulesen, eine kurze Erzählung von der Art, wie er sie früher geschrieben hatte, das heißt, zwar affektiert und verkünstelt, aber doch manchmal geistreich? Dadurch hätte er alles retten können. Aber nein, es kam etwas ganz anderes! Es begann eine erbauliche Ansprache! Mein Gott, was war da nicht alles darin! Ich kann mit Bestimmtheit sagen, daß sogar ein hauptstädtisches Publikum dadurch in starre Betäubung versetzt worden wäre, nicht nur das unsrige. Man stelle sich beinah zwei Druckbogen voll des geziertesten, zwecklosen Geredes vor; überdies las dieser Herr noch gewissermaßen von oben herab, mit trüber Miene, wie aus Gnade und Barmherzigkeit, so daß es sogar wie eine Beleidigung unseres Publikums herauskam. Das Thema ... Aber wer konnte es herausfinden, dieses Thema? Es war eine Art von Bericht über Empfindungen und Erinnerungen. Aber über was für Empfindungen und Erinnerungen? Wie sehr wir armen Provinzialen auch während der ganzen ersten Hälfte der Vorlesung unsere Stirnen in Falten zogen, wir konnten nicht daraus klug werden, so daß die zweite Hälfte nur noch aus Höflichkeit angehört wurde. Es war allerdings viel von Liebe die Rede, von der Liebe eines Genies zu irgendeiner Person; aber ich muß gestehen, das kam etwas ungeschickt heraus. Meiner Ansicht nach paßte es nicht recht zu der kleinen, dicken Figur des genialen Schriftstellers, daß er von seinem ersten Kusse erzählte ... Und was wieder beleidigend wirkte, diese

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