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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Ljamschin hörten mit einer Art von Gier zu. Julija Michailowna winkte mich wieder mit der Hand zu sich heran.
    »Halten Sie ihn zurück, halten Sie ihn um jeden Preis zurück!« flüsterte sie mir aufgeregt zu.
    Ich zuckte nur mit den Achseln; war es etwa möglich, einen Menschen, der in dieser Weise zu allem entschlossen war, zurückzuhalten? O weh, ich verstand Stepan Trofimowitschs Absicht.
    »Ah, von den Proklamationen spricht er!« flüsterte man im Publikum; der ganze Saal geriet in unruhige Bewegung.
    »Meine Herrschaften, ich habe dieses ganze Geheimnis ergründet. Das ganze Geheimnis ihrer Wirkung besteht in ihrer Dummheit!« (Seine Augen funkelten). »Ja, meine Herrschaften, wäre das eine beabsichtigte, planmäßig imitierte Dummheit, oh, dann wäre das sogar genial! Aber man muß diesen Blättern Gerechtigkeit widerfahren lassen: sie imitieren nichts. Das ist die nackteste, einfältigste, simpelste Dummheit,
c'est la bêtise dans son essence la plus pure, quelque chose comme un simple chimique.
Wäre das, was darin gesagt wird, auch nur um eine Spur verständiger, so würde jedermann sofort die ganze Armseligkeit dieser simplen Dummheit erkennen. Aber jetzt stutzen alle verwundert: niemand mag glauben, daß es wirklich so bodenlos dumm ist. ›Es muß doch noch etwas dahinterstecken,‹ sagt sich jeder, sucht einen verborgenen Sinn, sieht darin ein Geheimnis, möchte zwischen den Zeilen lesen, – und der Effekt ist da! Oh, noch nie hat die Dummheit eine so großartige Belohnung erhalten, trotzdem ihr Belohnungen so oft verdientermaßen zuteil geworden sind ... Denn,
en parenthèse,
die Dummheit wie das höchste Genie sind in den Geschicken der Menschheit in gleicher Weise nützlich.«
    »Witzworte aus den vierziger Jahren!« bemerkte zunächst jemand, indes in sehr bescheidenem Tone.
    Aber gleich nach ihm brach ein Sturm los; es wurde gelärmt und geschrien.
    »Meine Herrschaften, Hurra! Ich bringe ein Hoch aus auf die Dummheit!« rief Stepan Trofimowitsch, der in vollständiger Raserei den ganzen Saal herausforderte.
    Ich lief zu ihm hin, indem ich tat, als ob ich ihm Wasser eingießen wollte.
    »Stepan Trofimowitsch, hören Sie damit auf; Julija Michailowna bittet Sie dringend ...«
    »Nein, lassen Sie mich, Sie junger Müßiggänger!« schrie er mich aus voller Kehle an.
    Ich lief von ihm weg.
    »Messieurs!«
fuhr er fort; »wozu die Aufregung, wozu das Geschrei der Entrüstung, das ich höre? Ich bin mit dem Ölzweige hergekommen. Ich werde noch ein letztes Wort hierüber sagen (denn in dieser Sache steht mir das letzte Wort zu), und auf Grund dessen werden wir uns versöhnen.«
    »Hinaus!« riefen die einen.
    »Still, lassen Sie ihn reden, lassen Sie ihn sich aussprechen!« brüllte ein anderer Teil.
    Besonders aufgeregt war der junge Lehrer, der, nachdem er einmal Mut zum Reden gefaßt hatte, nun, wie es schien, nicht aufhören konnte.
    »
Messieurs,
das letzte Wort in dieser Sache ist: Generalpardon. Ich, ein abgelebter alter Mann, erkläre feierlich, daß in der jungen Generation der Geist des Lebens wie früher weht und die lebendige Kraft nicht versiegt ist. Der Enthusiasmus der modernen Jugend ist ebenso rein und leuchtend wie der unserer Zeiten. Nur eines ist vorgegangen: die Ziele haben sich geändert; eine Schönheit ist durch eine andere ersetzt worden! Der ganze Zweifel besteht nur darin: was ist schöner, Shakespeare oder ein Paar Stiefel, ein Raffaelsches Gemälde oder Petroleum?«
    »Das ist eine Denunziation!« brummten manche.
    »Kompromittierende Erörterungen!«
    »Agent-provocateur!«
    »Aber ich erkläre,« kreischte Stepan Trofimowitsch in hitzigster Erregung weiter, »aber ich erkläre, daß Shakespeare und Raffael höher stehen als die Bauernbefreiung, höher als die Nationalität, höher als der Sozialismus, höher als die junge Generation, höher als die Chemie, höher fast als die ganze Menschheit; denn sie sind die Frucht, die wahre Frucht der ganzen Menschheit und vielleicht die höchste Frucht, die es überhaupt nur geben kann! Die ideale Form der Schönheit ist bereits erreicht; wäre sie nicht erreicht, so würde ich vielleicht nicht einmal leben mögen ... O Gott!« rief er und schlug die Hände zusammen, »vor zehn Jahren habe ich ganz ebenso in Petersburg von einer Estrade gesprochen, ganz ebenso und mit denselben Worten, und in ganz derselben Weise wie jetzt haben sie nichts begriffen, sondern gelacht und gezischt; ihr törichten Menschen, was für ein Mangel

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