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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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hindert euch denn am Verständnis? Wissen Sie wohl, wissen Sie wohl, daß ein Fortbestehen der Menschheit möglich ist ohne die Engländer, möglich ist ohne Deutschland, sehr möglich ist ohne die Russen, möglich ist ohne Wissenschaft, möglich ist ohne Brot, und daß es nur ohne die Schönheit unmöglich ist; denn dann wäre auf der Welt überhaupt nichts mehr anzufangen! Das ist das ganze Geheimnis, die ganze Sache! Selbst die Wissenschaft kann nicht einen Augenblick ohne die Schönheit bestehen; hören Sie wohl, Sie, die Sie da lachen; sie verwandelt sich in ein Lakaientum; auf diese Art kann man nicht einmal einen Nagel erfinden! ... Ich gebe nicht nach!« schrie er sinnlos zum Schlusse und schlug aus aller Kraft mit der Faust auf den Tisch.
    Aber während er so ohne Vernunft und Ordnung kreischend redete, hatte die Ordnung im Saale aufgehört. Viele waren von ihren Plätzen aufgesprungen; manche hatten sich nach vorn gedrängt, näher an die Estrade heran. All das ging weit schneller vor sich, als ich es erzähle, und es war keine Zeit, Maßregeln dagegen zu ergreifen. Vielleicht wollte man es auch nicht.
    »Ja, Sie haben es gut, Sie Glückspilze; Sie sitzen im Fettöpfchen!« brüllte dicht bei der Estrade jener selbe Seminarist und fletschte vergnügt die Zähne gegen Stepan Trofimowitsch.
    Dieser bemerkte es und sprang an den Rand der Estrade.
    »Habe ich nicht selbst soeben erklärt, daß der Enthusiasmus bei der jungen Generation ebenso rein und leuchtend ist, wie er es früher war, und daß sie nur deswegen zugrunde geht, weil sie sich über die Formen des Schönen im Irrtum befindet? Genügt Ihnen das noch nicht? Und wenn Sie dann noch bedenken, daß das ein gebeugter, schwer gekränkter Vater gesagt hat, kann man da wirklich, was Unparteilichkeit und Ruhe der Anschauung anlangt, einen höheren Standpunkt einnehmen, o ihr törichten Menschen? ... Ihr Undankbaren; ihr Ungerechten, warum, warum wollt ihr euch nicht versöhnen? ...«
    Und plötzlich brach er in ein krampfhaftes Schluchzen aus. Er wischte sich mit den Fingern die herabrinnenden Tränen weg. Seine Schultern und seine Brust schütterten vor Schluchzen ... Er hatte alles in der Welt vergessen.
    Ein gewaltiger Schrecken ergriff das Publikum; fast alle erhoben sich von ihren Plätzen. Auch Julija Michailowna sprang schnell auf, faßte ihren Gemahl unter den Arm und zog ihn von seinem Sessel in die Höhe ... Es entstand ein grenzenloser Lärm.
    »Stepan Trofimowitsch!« schrie der Seminarist fröhlich. »Hier in der Stadt und in der Umgegend treibt sich jetzt der Sträfling Fedka umher, der von der Zwangsarbeit entwichen ist. Er raubt und hat erst kürzlich einen neuen Mord begangen. Gestatten Sie die Frage: wenn Sie ihn nicht vor fünfzehn Jahren zum Militär verkauft hätten, um eine Karten-Spielschuld zu bezahlen, das heißt einfach, wenn Sie ihn nicht im Kartenspiel verloren hätten, sagen Sie mal, wäre er dann ins Zuchthaus geraten? Würde er dann Menschen ermorden, wie er es jetzt im Kampfe ums Dasein tut? Was sagen Sie, Herr Ästhetiker?«
    Ich verzichte darauf, die nun folgende Szene zu schildern. Zunächst erscholl ein wütendes Beifallklatschen. Nicht alle klatschten, sondern nur etwa der fünfte Teil der im Saale Anwesenden; aber diese klatschten eben wütend. Das ganze übrige Publikum strömte dem Ausgange zu; aber da der applaudierende Teil des Publikums sich nach vorn zur Estrade hindrängte, so war das Resultat eine allgemeine Verwirrung. Die Frauen schrien auf; einige junge Mädchen fingen an zu weinen und baten, man möchte sie nach Hause bringen. Lembke stand neben seinem Stuhle und ließ befremdet seine Augen zu wiederholten Malen durch den Saal schweifen. Julija Michailowna hatte völlig die Fassung verloren, zum erstenmal seit sie in unserer Stadt lebte. Was Stepan Trofimowitsch anlangt, so schien er im ersten Augenblick durch die Worte des Seminaristen buchstäblich niedergeschmettert zu sein; aber auf einmal hob er beide Arme in die Höhe, wie wenn er sie über das Publikum hinstrecken wollte, und schrie:
    »Ich schüttle den Staub von meinen Füßen und spreche einen Fluch aus ... Es ist alles zu Ende ... alles zu Ende ...«
    Er wandte sich um und lief, indem er drohend die Arme schwenkte, hinter die Kulissen.
    »Er hat die Gesellschaft beleidigt! ... Werchowenski soll wieder herauskommen!« brüllten die Wütenden.
    Sie wollten sogar hinter ihm herstürzen und ihm nachsetzen. Sie zu beruhigen, war unmöglich, wenigstens

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