Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
Cahir rieb sich heftig Wangen und Nase. »Nicht in dieser Einöde. Diese Spuren hat sicherlich irgendein wildes Tier hinterlassen. Am ehesten ein Mufflon.«
»Du bist selber ein Mufflon!«, schrie Angoulême. »Wenn ich sage, ein Pferd, dann ist das ein Pferd!«
Milva stellte wie üblich die Praxis über die Theorie. Sie sprang aus dem Sattel, bückte sich und schob dabei die Fuchspelzmütze in den Nacken.
»Die Rotznase hat recht«, erklärte sie nach einer Weile. »Es ist ein Pferd. Anscheinend sogar beschlagen, aber das lässt sich schwer sagen, die Spuren sind schon ein bisschen zugeweht. Es ist dorthin gegangen, in diese Schlucht.«
»Ha!« Angoulême schlug sich mit Schwung die Arme um den Körper. »Ich hab’s gewusst! Hier wohnt jemand! In der Gegend! Reiten wir der Spur nach, vielleicht kommen wir zu irgendeiner Hütte? Vielleicht dürfen wir uns aufwärmen? Vielleicht bewirten sie uns?«
»Keine Frage«, sagte Cahir vorwurfsvoll. »Am ehesten mit einem Armbrustbolzen.«
»Am vernünftigsten wird es sein, sich an den Plan und an den Fluss zu halten«, verkündete Regis in seinem allwissenden Ton. »Dann laufen wir keine Gefahr, uns zu verirren. Und am Ausgang des Sansretour-Tals soll ein Trapperstützpunkt sein, dort werden wir mit viel höherer Wahrscheinlichkeit bewirtet.«
»Geralt? Was sagst du?«
Der Hexer schwieg, den Blick auf die umherwirbeldenSchneeflocken gerichtet. »Wir folgen der Spur«, entschied er schließlich.
»Also wirklich …«, setzte der Vampir an, doch Geralt schnitt ihm sofort das Wort ab. »Den Hufspuren nach! Vorwärts!«
Sie trieben die Reittiere an, kamen aber nicht weit. Sie drangen höchstens fünfzig Schritt weit in die Schlucht vor.
»Ende«, stellte Angoulême fest und schaute auf den glatten, jungfräulichen Schnee. »War da, ist weg. Wie im Elfenzirkus.«
»Was jetzt, Hexer?« Cahir wandte sich im Sattel um. »Die Spur ist zu Ende. Verweht.«
»Sie ist nicht verweht«, widersprach Milva. »Hierher in die Schlucht kommt das Schneegestöber nicht.«
»Was also ist mit diesem Pferd geschehen?«
Die Bogenschützin zuckte mit den Achseln, machte sich im Sattel krumm, zog den Kopf zwischen die Schultern.
»Wo ist dieses Pferd abgeblieben?«, beharrte Cahir. »Ver schwunden ? Fortgeflogen? Oder vielleicht ist uns alles nur so vorgekommen? Geralt? Was sagst du dazu?«
Der Wind heulte über der Schlucht auf, wirbelte Schnee auf sie herab.
»Warum«, fragte der Vampir und musterte den Hexer aufmerksam, »hast du uns dieser Spur folgen lassen, Geralt?«
»Ich weiß nicht«, gestand dieser nach einer Weile. »Etwas … Etwas habe ich gespürt. Etwas hat mich berührt. Was auch immer. Du hattest recht, Regis. Kehren wir an den Sansretour zurück und folgen wir dem Fluss, ohne Abschweifungen und Seitensprünge, die ein schlimmes Ende nehmen können. Demzufolge, was Reynart gesagt hat, erwarten uns die richtige Kälte und schlechtes Wetter erst am Malheur-Pass. Wenn wir dort ankommen, müssen wir völlig bei Kräften sein. Bleibt nicht hier stehen, wir kehren um.«
»Ohne zu klären, was mit diesem seltsamen Pferd geschehen ist?«
»Was gibt es da zu klären? Es hat die Spur verweht, und fertig. Übrigens, vielleicht war es wirklich ein Mufflon?«
Milva warf ihm einen sonderbaren Blick zu, verkniff sich aber eine Bemerkung.
Als sie an den Fluss zurückkehrten, war die geheimnisvolle Spur auch dort schon verschwunden, verweht und mit nassem Schnee bedeckt. Im zinngrauen Bett des Sansretour schwamm dichter Eisschlamm, strudelten Eisschollen.
»Ich sag euch was«, ließ sich Angoulême vernehmen. »Aber ihr müsst versprechen, dass ihr nicht lacht.«
Sie wandten sich zu ihr um. Mit der über die Ohren gezogenen Wollmütze mit Bommel, Wangen und Nase von Frost gerötet, in einen unförmigen Schafspelz gehüllt, sah das Mädchen komisch aus, ganz wie ein kleiner und dicklicher Kobold.
»Ich sag euch was zu diesen Spuren. Als ich bei Nachtigall war, in der Hanse, hieß es, dass im Winter der Bergkönig, der Herrscher der Eisdämonen, auf einem verwunschenen Pferd über die Pässe reitet. Ihm von Angesicht zu Angesicht zu begegnen, ist der sichere Tod. Was meinst du dazu, Geralt? Kann es sein, dass …«
»Alles«, unterbrach er sie. »Alles kann sein. Auf den Weg, Leute. Vor uns liegt der Malheur-Pass.«
Der Schnee peitschte und brannte, der Wind wehte, in dem Schneetreiben pfiffen und heulten die Eisdämonen.
Dass die Heide, auf die sie geriet, nicht
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