Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See

Titel: Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:

    Unten, unter der Terrasse, blitzte etwas auf, die Dunkelheit barst sternenhell auf, aus dem Strahlen trat ein Pferd hervor. Mit einem Reiter auf dem Rücken. Der Reiter war ein Mädchen.
    »Guten Abend«, grüßte sie höflich. »Verzeihung, falls ich zur Unzeit komme. Darf man erfahren, was das für ein Ort ist? Welche Zeit?«
    Aarhenius Krantz schluckte, öffnete den Mund und begann zu stammeln.
    »Der Ort«, wiederholte das Mädchen geduldig und deutlich. »Die Zeit.«
    »Äh   … Also   … Bäh   …«
    Das Pferd wieherte. Das Mädchen seufzte. »Nun ja, ich hab’s wohl wieder schlecht getroffen. Falscher Ort, falsche Zeit! Aberantworte mir, guter Mann! Wenigstens mit einem einzigen verständlichen Wörtchen. Ich kann doch nicht in eine Welt geraten sein, in der die Menschen verlernt haben, artikuliert zu sprechen!«
    »Äääh   …«
    »Ein Wörtchen.«
    »Hää   …«
    »Ach, der Schlag soll dich treffen, du Schafskopf«, sagte das Mädchen.
    Und verschwand. Mitsamt dem Pferd.
    Aarhenius Krantz schloss den Mund. Er blieb noch einen Moment am Geländer stehen, den Blick in die Nacht gerichtet, auf den See und die sich darin spiegelnden Lichter Wyzimas. Dann machte er die Hose zu und kehrte an sein Fernrohr zurück.
    Der Komet glitt rasch über den Himmel. Er musste ihn beobachten, ihn nicht aus dem Blickfeld von Glas und Auge lassen. Ihn verfolgen, bis er in den Abgründen des Kosmos verschwand. Das war eine Gelegenheit, und ein Gelehrter durfte eine solche nicht ungenutzt verstreichen lassen.
     
    Aber vielleicht versuche ich es von einer anderen Seite her, dachte sie, während sie die beiden Monde über der Heide betrachtete, die jetzt als zwei Sicheln erschienen, die eine klein, die andere groß und weniger sichelförmig. Vielleicht sollte ich mir keine Orte oder Gesichter vorstellen, dachte sie, sondern stark wünschen   … Es mir stark wünschen, ganz stark, bis in den Bauch hinein   …
    Was kann ein Versuch schaden?
    Geralt. Ich will zu Geralt. Ich will unbedingt zu Geralt.
     
    »O nein!«, rief sie. »Da bin ich ja in Teufels Küche geraten!«
    Kelpie bestätigte mit einem Wiehern, dass sie der gleichen Ansicht war, stieß Dampf aus den Nüstern und ruckte mit den im Schnee versunkenen Hufen.
    Der Schneesturm pfiff und heulte, blendete, scharfe Schneekörnchen schlugen auf Wangen und Hände ein. Die Kälte drang bis ins Mark, biss in die Gelenke wie ein Wolf. Ciri zitterte, machte die Schultern krumm und verbarg den Hals hinter dem hochgestellten Kragen, der wenig Schutz bot.
    Zur Linken und zur Rechten erhoben sich majestätisch bedrohliche Höhen, graue Felsmonumente, deren Gipfel irgendwo hoch oben in Nebel und Schneetreiben verborgen lagen. Am Grunde des Tals strömte ein schneller, stark aufgewühlter Fluss dahin, dicht mit Eisschlamm und Eisschollen bedeckt. Überall ringsum war es weiß. Und kalt.
    So viel zu meinen Fähigkeiten, dachte Ciri und spürte, wie ihr das Innere der Nase gefror. So viel zu meiner Kraft. Eine schöne Herrin der Welten bin ich, alles, was recht ist! Ich wollte zu Geralt und bin mitten in irgendeine gottverlassene Wildnis, in Kälte und Schneesturm geraten.
    »Na, Kelpie, beweg dich, sonst erstarrst du!« Sie ließ mit vor Kälte fühllos werdenden Fingern die Zügel locker. »Weiter, weiter, Schwarze! Ich weiß, dass das nicht der richtige Ort ist, gleich hole ich uns hier weg, gleich kehren wir auf unsere warme Heide zurück. Aber ich muss mich konzentrieren, und das kann dauern. Darum beweg dich! Los, vorwärts!«
    Kelpie schlug Dampf aus den Nüstern.
    Der Sturmwind wehte, der Schnee klebte am Gesicht fest, schmolz auf den Wimpern. Das Schneetreiben heulte und pfiff.
     
    »Seht!« Angoulêmes Ruf übertönte den Wind. »Seht dort! Dort sind Spuren! Jemand ist dort geritten!«
    »Was sagst du?« Geralt zog den Schal weg, den er sich um den Kopf gewickelt hatte, um die Ohren vor dem Erfrieren zu bewahren. »Was sagst du, Angoulême?«
    »Spuren! Pferdespuren!«
    »Hier – ein Pferd?« Auch Cahir musste schreien, der Sturm hatte zugenommen, und der Fluss Sansretour schien immer lauterzu brausen und zu tosen. »Wo soll denn hier ein Pferd herkommen?«
    »Seht selbst.«
    »Tatsächlich«, urteilte der Vampir, der als Einziger in der Gesellschaft nicht total durchgefroren wirkte – er war offensichlich für tiefe Temperaturen ebenso unempfindlich wie für hohe. »Spuren. Aber ob sie von einem Pferd stammen?«
    »Das kann unmöglich ein Pferd sein.«

Weitere Kostenlose Bücher